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Ersetzen Roboter den Zahnarzt?

Das Aufsehen war groß: Sind Roboter die besseren Zahnärzte? Diesen Eindruck weckten die Überschriften einiger Online-Medien. In Zeiten, in denen künstliche Intelligenz immer alltäglicher wird, klang es fast plausibel, dass Zahnärzte aus Fleisch und Blut künftig nicht mehr gebraucht werden. Gemeinsam mit Professor Falk Schwendicke ordnen wir ein, was hinter den Schlagzeilen steckt, und wagen einen behutsamen Blick in die Zukunft.

Verschiedene Online-Medien schienen einen Paradigmenwechsel in der Zahnmedizin anzukündigen. „Perceptive-Roboter löst nun den Zahnarzt ab“ war eine Mitteilung überschrieben, die die Nachrichtenagentur „Pressetext“ Ende Juli 2024 verbreitete. Wobei „Perceptive“ der Name des Unternehmens mit Sitz im US-amerikanischen Boston ist, das die Technologie entwickelt hat.

„Die Überschrift in Newsweek könnte man übersetzen mit: „KI-Roboter-Zahnarzt setzt menschliche Zahnkrone in wenigen Minuten ein“.”

„Zahnarztroboter behandelt achtmal schneller als ein Mensch“ hieß die Schlagzeile beim „Standard“. Und so wurde die Zeitersparnis bei der Behandlung berechnet: „Die Vorbereitung samt eigentlichem Eingriff gelang in nur 15 Minuten. Normalerweise findet die Behandlung in zwei Terminen statt und dauert insgesamt zwei Stunden.“ Weiterhin wird Perceptive-Chef Dr. Chris Ciriello zitiert: „Wir freuen uns über die Durchführung der weltweit ersten vollautomatischen robotergestützten Zahnbehandlung.“

Auch die „Newsweek“ berichtete. Die Überschrift könnte man übersetzen mit: „KI-Roboter-Zahnarzt setzt menschliche Zahnkrone in wenigen Minuten ein“. Im Text dann der Hinweis, dass das Unternehmen bislang 30 Millionen Dollar für die Entwicklung aufgebracht hat. Zu den Unterstützern zählt Dr. Edward Zuckerberg, Zahnarzt und Vater von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg.

Wie der neue Roboter bei der Arbeit aussieht

Auf Youtube ist ein kurzes Video zu finden, das den „KI-Roboter-Zahnarzt“ bei der Arbeit zeigt. Was er durchführt, ist eine Standardprozedur: Ein beschädigter Zahn wird auf das Einsetzen einer künstlichen Krone vorbereitet. Dazu wird der Zahn so weit abgeschliffen, dass nur ein Zahnstumpf übrigbleibt. Nur dass diese „Präparation“, wie es in der Fach­sprache heißt, sonst ein Zahnarzt vornimmt.

„Zu sehen ist ein rotierendes Instrument, ein sogenannter Diamant. Der wird von einer Art Roboterarm um den Zahn herumgeführt, um ihn zu beschleifen“, kommentiert Professor Falk Schwendicke die etwas wackligen Bilder des Videos. Er ist Direktor der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie am LMU-Klinikum München. „Über eine schwarze Schablone, die an den anderen Zähnen vorbeigeht, scheint das Schleifelement starr am Zahnbogen befestigt zu sein.“ Dadurch geht der „Diamant“ mit, sollte der Patient sich be­wegen, und bleibt stabil am zu bearbeitenden Zahn.

Was an der neuen Technologie beeindruckt – und was nicht

Falk Schwendicke ist KI-Experte und gilt als Visionär. Bevor er nach München wechselte, leitete er vier Jahre lang ein Institut an der Berliner Charité, das sich auch mit digitaler Zahnheilkunde befasst. Der Perceptive-Roboter habe schon für eine gewisse Aufmerk­samkeit in der Branche gesorgt, sagt er. Allerdings weniger aus den Gründen, die die Online-Medien in den Vordergrund stellen. „Ich finde vielmehr interessant, dass der neue Roboter sich um solch eine kleine Arbeit kümmert wie eine zahnpräparierende Therapie. Bis ein Roboter für diesen Zweck kostendeckend arbeitet, wird es lange dauern.“

„Bis ein Roboter für diesen Zweck kostendeckend arbeitet, wird es lange dauern.”
Prof. Falk Schwendicke

Weiterhin sei die Technik „spannend“, die im Gerät zur Anwendung kommt: „Es ist ein Mul­tiscanroboter, hier werden verschiedene Sensorentechniken miteinander verschnitten.“ Unter anderem wird die Technik der Optischen Kohärenztomographie (OCT) eingesetzt, ein bildgebendes Verfahren, das bislang vor allem Augenärzte zur Untersuchung der Netzhaut nutzen. „Diese Kombination verschiedener Sensoren zusammen mit einer KI, die die Daten verarbeitet, und dem Roboterarm, das finde ich ganz smart.“

Auch digitalisierte Praxen schaffen die Zahnkrone in einer Sitzung

Dass Roboter dem Zahnarzt nicht nur assistieren, sondern Aufgaben komplett übernehmen, sei allerdings gar nicht so neu: „Vor ein paar Jahren gab es in China den ersten Roboter, der autonom Implantate setzte.“ Der Techniknachrichtendienst Ingenieur.de berichtete schon im Jahr 2017 von einem an der Beihang-Universität in Peking entwickelten Roboter. Dieser implantiert eigenständig Zähne, die zuvor im 3-D-Druckverfahren gefertigt wurden.

Dass der Roboter schneller arbeiten kann als sein menschlicher Wettbewerber, will Schwendicke gar nicht ausschließen. Allerdings weist er darauf hin, dass es schon jetzt – also ohne die Unterstützung durch einen Roboter – Praxen gibt, die eine Zahnkrone auch in nur einer Sitzung einsetzen können. Dazu braucht es jedoch eine digitalisierte Praxis mit eigener CAD/CAM-Fräse.

Mit der Fräse lässt sich nach dem Präparieren des Zahns und dem Scannen des Mundraums die Krone vor Ort herstellen, statt sie aufwendig im Dentallabor zu bestellen. „Und ich gebe zu: Der Normalfall ist das noch nicht. Über diese Technik dürften heute zwischen 10 und 20 Prozent der Zahnärzte verfügen, schätze ich.“

Kommt der Zahnarzt-Roboter?

Wird der Roboter den Zahnarzt irgendwann vollständig ablösen? Davor ist Professor Schwendicke nicht bang. „Das Schöne an unserem Beruf ist ja: Es geht nicht nur ums Kronensetzen. Die Aufgaben sind sehr komplex, vieles hat mit der Interaktion mit Patienten zu tun, das wird kein Roboter und keine KI so bald leisten können.“ Ob Roboter allerdings in fünf oder zehn Jahren einzelne Aufgaben des Zahnarztes eigenständig durchführen – und zwar nicht als Vorführgeräte wie der Perceptive-Roboter, der noch keineswegs von der US-Gesundheitsbehörde zugelassen ist: Das kann niemand vorhersagen.

„Die Aufgaben sind sehr komplex, vieles hat mit der Interaktion mit Patienten zu tun, das wird kein Roboter und keine KI so bald leisten können.”
Prof. Falk Schwendicke

Das hängt wohl auch weniger von der technischen Realisierbarkeit ab als von der finanzi­ellen. „In der Neuro- und Bauchchirurgie kommen Roboter schon zum Einsatz. Aber da kostet ein Eingriff auch schnell mehrere Zehntausend Euro, auf solche Summen kommen wir in der Zahnmedizin kaum.“ Je höher die eingesparten Kosten, desto schneller amorti­sieren sich die Millionensummen, die heute noch in die Entwicklung eines Roboters inves­tiert werden müssen. Senkt aber der technische Fortschritt die Entwicklungskosten, ändert das die Ausgangslage. Schwendicke: „Bei Genom- und Mikrobiomanalysen haben wir auch lange gesagt: Das ist zu teuer. Bis die Preise gesunken sind.“

Wie umgehen mit neuen Behandlungsmethoden?

Ob nun der Roboter künftig Einzug ins Sprechzimmer nimmt oder nicht: Es kommt vor, dass Patienten von ihrem Arzt in einer Form behandelt werden sollen, die sie nicht kennen. Für solche Fälle hält Professor Schwendicke einige Fragen bereit, die Sie stellen sollten.

  • Lassen Sie sich das Vorgehen erläutern. Wenn Sie etwas nicht verstehen: nachfragen.

  • Ist die Behandlungsmethode offiziell zugelassen?

  • Wie gut ist die Methode getestet worden?

  • In wie vielen Fällen wurde die Behandlung schon durchgeführt?

  • Kann ich mit jemandem sprechen, der auf diese Art behandelt wurde?

Kommt der Assistenz-Roboter?

Weniger komplexe Tätigkeiten könnten auch von einfacheren Robotern ausgeübt werden. „Ein Assistenz-Roboter, der im Sprechzimmer Instrumente anreicht, bei Patienten die Wange abhält oder den Speichel absaugt, ist leichter zu entwickeln als ein Zahnarzt-Robo­ter“, sagt Falk Schwendicke. Ähnlich ist es bei den Kräften, die für Abrechnung und Doku­mentation, fürs Briefeschreiben und Telefonieren zuständig sind: „Das alles sind Aufgaben, die man wahrscheinlich durch Soft- und Hardware teilen oder automatisieren kann. Dafür wird man dann keine Helferinnen mehr brauchen.“

Für größere Anstrengungen in diese Richtung spricht auch der Fachkräftemangel bei den Zahnmedizinischen Fachangestellten (ZFA), die bislang für solche Assistenztätigkeiten zu­ständig sind. Diese Berufsgruppe wird besonders stark nachgefragt. Einmal im Jahr be­wertet die Bundesagentur für Arbeit die Fachkräftesituation am Arbeitsmarkt. Seit der Eng­passanalyse aus dem Jahr 2023 gelten ZFA als Engpassberuf – größer ist der Mangel einzig bei Berufen in der regenerativen Energietechnik und bei den Pflegeberufen.

Fazit

Konkrete Prognosen auf lange Sicht sind schwierig. Der technische Fortschritt wird noch vielerlei Veränderungen bringen, auch beim Zahnarztbesuch. Möglich, dass Patientenkon­takte mit dem Roboter – ob am Empfang oder bei der Behandlung – mal völlig normal sind. Bei allen Chancen, die die künstliche Intelligenz verspricht, sollte man dennoch kritisch bleiben.

Icon, das einen Experten/eine Expertin symbolisiert. Symbol für die Envivas Fach-Experten.

Prof. Dr. med. dent. Falk Schwendicke

Experte

Direktor der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie am LMU-Klinikum München.

Markus Düppengießer

Autor

Markus Düppengießer, Journalist und Lektor, lebt in Köln. Früher schrieb er vor allem für Tageszeitungen, heute für verschiedene Fachmedien (on- und offline) aus den Bereichen Gesundheit und Personalwesen, für ein Straßenmagazin und eine Kinderzeitung. Zudem ist er Dozent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.