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VR-Brillen: Wie riskant sind sie fürs Auge?

Virtual-Reality-Brillen liegen im Trend, nicht nur Gamern bieten sie ganz neue Möglichkeiten. Nach dem Motto: Mittendrin statt nur dabei. In der Begeisterung für die sich rasant entwickelnde Technik werden Fragen nach Risiken gerne beiseite­geschoben. Der habilitierte Medizin-Physiker und Augenexperte Wolfgang Wese­mann rät zur Vorsicht und gibt Tipps zur Nutzung.

Wie funktionieren VR-Brillen?

Eine Virtual-Reality-Brille trickst den Menschen und seine Wahrnehmung aus. Sie täuscht den Augen und dem Gehirn eine eigene Welt vor. Eine, die man nicht nur betrachtet, son­dern in die man eintauchen kann. Das Eintauchen, Fachwort Immersion, entsteht durch eine ausgeklügelte Technik.

Direkt vor jedem Auge ist bei der VR-Brille eine Sammellinse angebracht und ein kleines Display wie in einem Smartphone. Eine Software sorgt dafür, dass das rechte und das linke Auge jeweils ein leicht verschobenes Bild sehen. Aus den beiden Perspektiven erzeugt das Gehirn ein plastisches Gesamtbild. Die Augen schauen auf einen zweidimensionalen Bildschirm, bekommen aber ein dreidimensionales Bild vorgegaukelt.

„Für das Gehirn ist der Prozess keineswegs trivial. Das Gehirn muss hochkomplexe mathematische Analysen vornehmen.”

Die Linsen vermitteln den Eindruck, die Bildschirme und somit der virtuelle Raum seien weiter weg, als sie es tatsächlich sind. Gleichzeitig erzeugen sie ein breites Sehfeld ohne Ränder. Für das Gehirn ist der Prozess keineswegs trivial. „Das räumliche Sehen be­zeichnet man zu Recht als höchste Form der visuellen Wahrnehmung“, sagt PD Dr. Wolf­gang Wesemann, Medizin-Physiker und Augenexperte. Um aus den beiden Bildern die Tiefe herauszufiltern, muss das Gehirn hochkomplexe mathematische Analysen vornehmen.

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Wozu nutzen die Deutschen die VR-Brille?

Laut einer Studie des Branchenverbands für Telekommunikation Bitkom („Die Zukunft der Consumer-Technology“ 2023) werden Virtual-Reality-Brillen derzeit von 21 Prozent der deutschen Bevölkerung ab 16 Jahren zumindest hin und wieder genutzt, meist privat, nur selten beruflich. 26 Prozent der Menschen haben schon mal eine VR-Brille genutzt. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung kann sich vorstellen, mal eine auszuprobieren oder wieder eine aufzusetzen.

In privater Nutzung werden die Brillen überwiegend (91 Prozent) bei Computer- und Videospielen eingesetzt. In drei von vier Fällen (77 Prozent) werden mit ihnen virtuelle Rei­sen gemacht. 70 Prozent der Menschen schauen sich mit ihnen Filme, Serien und Videos an, 41 Prozent Musikkonzerte, 19 Prozent Sportereignisse. 29 Prozent nutzen VR-Brillen für sportliche Aktivitäten wie Fitnessprogramme, je 8 Prozent brauchen sie zum Shoppen oder in einem beruflichen Kontext.

Was machen die, die sonst Kontaktlinsen oder eine normale Brille tragen?

Es gibt zwar VR-Brillen mit eingebauter Dioptrienkorrektur. Bei ihnen lässt sich allerdings nur der gleiche Wert für beide Augen einstellen. Eine Hornhautverkrümmung kann gar nicht korrigiert werden. Wer auf Sehhilfen angewiesen ist, der sollte diese grundsätzlich aufbehalten, sonst kann der 3-D-Effekt schwinden. „Allerdings bietet nicht jedes Modell genug Platz, um gleichzeitig noch eine normale Brille zu tragen“, so Wesemann. Das sollten Brillenträger bei der Auswahl beachten.

Sind VR-Brillen schlecht für die Augen?

Diese Frage ist seriös kaum zu beantworten. Die VR-Technik ist relativ jung und wenig er­forscht. Medizin-Physiker Wesemann hat sich mit der vorzugsweise englischsprachigen In­ternetliteratur zum Thema befasst. „Man bekommt im Netz jede Menge Ratschläge von selbsternannten Koryphäen. Schaut man aber genauer hin, basieren die auf Vermutungen und Spekulationen.“ Wissenschaftliche Grundlagenforschung werde nicht zitiert.

Wolfgang Wesemann selbst hat sich schon vor mehr als zehn Jahren mit dem damaligen Hype um 3-D-Filme auseinandergesetzt und auf unterschiedlichste Sehprobleme hinge­wiesen, die auftreten können. Dazu gehören anstrengendes und unscharfes Sehen, müde Augen, Kopfschmerzen, Doppelbilder, Schwindel, in selteneren Fällen auch Übelkeit. Von bleibenden Schäden sei nicht auszugehen, die Beschwerden verschwänden meist nach kurzer Zeit. Allerdings beträfen die Probleme nicht alle gleichartig, die Belastbarkeit sei von Mensch zu Mensch sehr verschieden.

Der Akkommodation-Konvergenz-Konflikt

Die Gründe, die zu den unerwünschten Nebenwirkungen beim künstlich herbeigeführten dreidimensionalen Sehen führen, sind vielschichtig. Einerseits stecken Unzulänglichkeiten der Technik dahinter, möglicherweise werden die künftig überwunden. Andererseits gibt es „prinzipielle visuelle Wahrnehmungskonflikte“, so Wesemann, die wohl auf Dauer zu Problemen führen werden: „Das visuelle System versucht die Konflikte abzumildern. Dies gelingt aber nur unzureichend.“ Einer dieser Wahrnehmungskonflikte betrifft den Wechsel von Nah- auf Fernsicht, es ist der sogenannte Akkommodation-Konvergenz-Konflikt.

Das menschliche Auge verfügt über zwei Mechanismen, um zwischen Nah- und Fernsicht zu wechseln. Die Akkommodation ist dabei die optische Naheinstellung des Auges: Die Linse verformt sich und verändert so die Brechkraft des Auges. Der zweite Mechanismus ist die Konvergenz, die Anpassung der Augenstellung an die Nähe, sodass beide Augen ein Objekt nah vor dem Gesicht fixieren. VR-Brillen jedoch sind für den Fernblick eingerichtet. Wird in der virtuellen Welt auch die Nähe abgebildet, darf der, der die Brille trägt, nicht akkommodieren, dennoch muss er seine Augenstellung an die Nähe anpassen. Dazu muss das Gehirn erst lernen, Akkommodation und Konvergenz zu entkoppeln.

Nun liegen statt 3-D-Fernsehern VR-Brillen im Trend. „Und die sind noch viel schwieriger“, so Wesemann. Die physiologischen Probleme blieben dieselben, die Auswirkungen hätten sich jedoch verschlimmert. Das hänge mit jenem Phänomen zusammen, das vielen als Vorzug der VR-Brillen gilt: der Immersion. Die gab es nicht, als man sich ein 3-D-Gerät ins Wohnzimmer stellte. „Die Probleme von damals traten auf, wenn ich auf den Bildschirm schaute, also ein relativ kleines Bildfeld. Nun können sie überall entstehen, wo ich hingu­cke.“ Das erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass das Sehen einen krank macht, deutlich.

Statistisch belegen kann Wesemann diese Aussage nicht. „Wissenschaft dauert lange. Vergleichende Studien sind aufwendig – und gerade in diesem Zusammenhang schwer durchzuführen.“ Nach seiner Meinung ist allerdings unklar, „inwieweit eine exzessive VR-Nutzung zu langfristigen visuellen und neurologischen Störungen führen“ kann. Berechtigte Befürchtungen gäbe es zur Genüge. So sei der Zusammenhang von VR-Displays und der Entwicklung von Migräne noch nicht geklärt.

„Bezeugt ist eine gestörte Orientierung im Raum im Anschluss an die Nutzung der VR-Brille.”

Bezeugt ist eine gestörte Orientierung im Raum im Anschluss an die Nutzung der VR-Brille. Mancher Hersteller empfiehlt daher, sofort nach einer virtuellen Sitzung keine Maschinen zu bedienen und kein Auto zu fahren. Und es sei keineswegs ausgeschlossen, dass die Nutzung der Brillen auch zu langfristigen Störungen beim Sehen im Alltag führe, so Wesemann. „Hektische Spiele können sogar epileptische Anfälle auslösen.“

Was ist beim Umgang mit VR-Brillen zu beachten?

Trotz der unsicheren Forschungslage lassen sich Ratschläge formulieren. So sind bei Aus­flügen in die virtuelle Wirklichkeit regelmäßige Pausen sicher sinnvoll, in denen man die starre Augenhaltung lockert und den Blick in die Ferne schweifen lässt. Was „regelmäßig“ heißt? Wesemann: „Manche schreiben: VR-Brillen nicht länger als 30 Minuten am Stück tragen. Wissenschaftlich begründen können sie das aber nicht.“ Weil unnatürliches 3-D-Sehen auf jeden anders wirkt, sei es besser, statt auf starre Zeitkorsetts auf den eigenen Körper zu achten: Pausieren, sobald unangenehme Symptome auftreten.

Tipps

  • Beim Nutzen der VR-Brille auf den Körper hören und regelmäßig Pausen machen, bei Bedarf Augenübungen durchführen
  • Bei Leih-Brillen auf Hygiene achten: Bindehautentzündung kann ansteckend sein
  • Die VR-Brille – wenn möglich – auf den eigenen Augenabstand einstellen
  • Brillenträger sollten berücksichtigen, dass genügend Platz für die normale Brille bleibt.

VR-Brillen entwickeln sich rasant weiter. Grundsätzlich sind allerdings einige Dinge zu beachten. Beim Menschen liegen die Augen unterschiedlich weit auseinander. Die ersten Modelle hatten einen konstanten Augenabstand. Bei moderneren VR-Brillen lässt sich der Abstand teilweise ändern: mal schrittweise, mal stufenlos. Passen Brillen und Nutzer nicht zusammen, kann das zu Sehproblemen führen – oder wie Wolfgang Wesemann es formu­liert: „Dann sind Sehstörungen programmiert.“

Ab welchem Alter sollte man VR-Brille tragen?

Auch diese Frage ist nicht leicht zu beantworten – Wolfgang Wesemann, der speziell zum Thema Sehentwicklung geforscht hat, rät hier ebenfalls zu Zurückhaltung. „Der Mensch muss das Sehen lernen.“ Die Sehfähigkeit entwickle sich bei Kindern nur dadurch, dass diese ihre Augen benutzen, so vernetzen sich die Neuronen im Hirn. „Dieser Vorgang kann ziemlich leicht gestört werden.“ Kleine Kinder dürften seiner Meinung nach auf keinen Fall VR-Brillen tragen.

Exemplarisch lässt sich das am Wechsel von Nah- auf Fernsicht erläutern: Das fertig ent­wickelte Auge weiß, wie es akkommodieren muss, um bei wechselnden Entfernungen scharf zu sehen. Diesen automatisierten Prozess, der beim natürlichen Sehen fundamental wichtig ist, trainiert sich das Gehirn beim Tragen einer VR-Brille ab. „Wenn ich Kindern also beibringe, wie man 'falsch' sieht, dann können sie richtiges Sehen am Ende vielleicht gar nicht mehr lernen.“

„Unter 14 Jahren sollte man Kinder nicht an solche Brillen heranlassen.”
Dr. Wolfgang Wesemann

Wo aber sollte man die Altersgrenze ziehen? Der Facebook-Konzern Meta hat elternver­waltete Meta-Konten eingerichtet: Dadurch können in den USA, kontrolliert von Mutter und Vater, schon Zehnjährige VR-Brillen nutzen. „Allerdings geht es dem Hersteller eher um die Inhalte. Zur medizinischen Problematik sagt das gar nichts“, so Wolfgang Wesemann. Er lässt keinen Zweifel daran, dass ihm das deutlich zu früh ist: „Unter 14 Jahren sollte man Kinder nicht an solche Brillen heranlassen. Bis zu diesem Alter kann der Sehentwicklung noch geschadet werden.“

Fazit

Die Immersion ist nicht nur das Beeindruckende, das VR-Brillen ihren Nutzern bieten, son­dern auch das Riskante. Zumindest scheint es so zu sein: Ein Mangel an Langzeiterfah­rungen erschwert die Einschätzung der Situation erheblich. Angesichts dieser Unsicherheit sollte man Vorsicht walten lassen, bei der Nutzung auf den eigenen Körper hören und ge­rade Kindern den verfrühten Zugang ins Virtuelle versagen.

Quellen

Icon, das einen Experten/eine Expertin symbolisiert. Symbol für die Envivas Fach-Experten.

Dr. rer. nat. Wolfgang Wesemann

Experte

Privatdozent, Medizin-Physiker, Augenexperte, ehemaliger Direktor der Höheren Fachschule für Augenoptik Köln und wissenschaftlicher Berater des Kuratoriums Gutes Sehen

Markus Düppengießer

Autor

Markus Düppengießer, Journalist und Lektor, lebt in Köln. Früher schrieb er vor allem für Tageszeitungen, heute für verschiedene Fachmedien (on- und offline) aus den Bereichen Gesundheit und Personalwesen, für ein Straßenmagazin und eine Kinderzeitung. Zudem ist er Dozent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.