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Sind Barfußschuhe immer die besseren Schuhe?
Die leichten und flexiblen Treter ohne echte Sohle haben längst die Nische verlassen. Barfußschuhe werden überall angeboten – verbunden mit dem Versprechen, man könne sich nur mit ihnen natürlich bewegen. Professor Wolfgang Potthast von der Deutschen Sporthochschule Köln ordnet ein, ob Barfußschuhe wirklich so gesund sind und das Richtige für den Alltag. Was es beim Tragen zu beachten gilt, ob man darunter Socken anziehen sollte und für wen sich das Barfußlaufen besonders lohnt.
Was sind Barfußschuhe?
Der Begriff Barfußschuhe ist erst mal ein Widerspruch in sich. Wer Schuhe trägt, ist nicht barfuß. In der Forschung wird auch von Minimalschuhen gesprochen. Das ist zwar theoretisch näher an der Wahrheit, konnte sich aber in der Praxis nicht durchsetzen. Barfußschuh ist überdies ein recht schwammiger Begriff, der nicht geschützt ist, eine verbindliche Definition gibt es ebenso wenig.
Anders als konventionelle Schuhe laufen typische Barfußschuhe vorne nicht spitz zu, sondern orientieren sich an der anatomischen Passform des Fußes und sind breiter geschnitten. Sie werden in verschiedenen Varianten aus den unterschiedlichen, aber immer flexiblen Materialien hergestellt und sind recht leicht. Manche Modelle sind nicht allzu weit entfernt von der Socke, in der Variante Zehenschuh ähneln sie einem Handschuh für die Füße. Barfußschuhe haben weder Fußbett noch Absatz, die Sohle ist dünn und biegsam.
„Barfußschuhe haben weder Fußbett noch Absatz, die Sohle ist dünn und biegsam.”
Wann wurden Barfußschuhe entwickelt?
Das lässt sich angesichts des vagen Begriffs ebenso wenig bestimmen wie beim Schuh allgemein: Während der letzten Eiszeit haben sich wohl schon Neandertaler Tierfelle um die Füße gewickelt. Die ältesten gefundenen Lederschuh-Reste sind mehr als 6.000 Jahre alt – irgendwann dazwischen ist entstanden, was wir heute Schuh nennen. Beim Barfußschuh kann man sagen, dass es zu Anfang des 21. Jahrhunderts einen ziemlichen Entwicklungsschub gab.
Für die einen gilt Robert Fliri, Kletterer und Industriedesigner aus Südtirol, als Erfinder des Barfußschuhs. Seinen Plan, eine Alternative zu schweren Bergsteigerschuhen zu entwickeln, soll er mit einem Team von Lehrern und Studierenden an der Bozener Akademie für Design umgesetzt haben. Im Jahr 2002 gab es den ersten Prototypen der sogenannten „Five-Fingers-Schuhe“. Anderen gilt der Schuh als Entwicklung aus den USA: Sportartikelhersteller Nike habe mit dem Sneaker „Nike Free“ 2004 den ersten Barfußschuh auf den Markt gebracht: um Leichtathletinnen und -athleten, die nicht im sonnenverwöhnten Kalifornien leben, ein Trainieren zu ermöglichen, das dem Barfußlaufen möglichst nahekommt.
Läuft man barfuß gesünder?
Der menschliche Fuß besteht aus 26 Einzelknochen, die durch Gelenke, Sehnen und Bänder miteinander verbunden sind. Der Verzicht auf Schuhwerk gilt als naturverbundener und gesünder, Barfußlaufen soll die Fußmuskulatur stärken und die Füße sensibler machen. Schließlich sind Füße Tastorgane wie Hände, an Fußsohle und Zehen befinden sich besonders viele Rezeptoren der Hautsinne. Manche erkennen in Barfüßigkeit sogar eine esoterische Komponente: so wenig wie möglich zwischen Fußsohlen und Boden kommen zu lassen als Voraussetzung für eine besondere Form der Erdung.
„In traditionellem Schuhwerk sind die Fußmuskeln ein bisschen eingefroren.”
So weit will Professor Wolfgang Potthast keineswegs gehen. „Aber Barfußlaufen ist gut für die gesamte Fußstruktur“, sagt der Leiter des Instituts für Biomechanik und Orthopädie an der Deutschen Sporthochschule in Köln. „Vor allem stärkt man seine Fußmuskeln, wenn man sich barfuß bewegt. In traditionellem Schuhwerk sind die ein bisschen eingefroren.“ Insgesamt werden beim schuhlosen Gehen mehr Muskeln beansprucht. Der Fuß ist weniger eingeengt, wird anders belastet, trainiert und stabilisiert.
Potthast empfiehlt gerade Kindern, möglichst oft barfuß zu laufen. Einerseits weil körperliche Ertüchtigung, die man bis zur Pubertät erfahren hat, grundsätzlich besonders gut ist: „Das nimmt man mit bis ins hohe Alter. Der Körper gewöhnt sich daran, trainiert zu werden.“ Außerdem schränken ungeeignete Kinderschuhe die Bewegungen der Fußstrukturen und das damit verbundene Training der Fußmuskulatur noch drastischer ein. Da Kinder weniger Eigengewicht und weniger Muskelkraft haben, können sie steife Schuhe kaum biegen und durchbewegen. „Daher ist es nicht gut, Kinderfüße ständig einzupacken.“
Spricht das für Barfußschuhe?
Das spricht erst einmal fürs Barfußlaufen. Und so rät der Bewegungsexperte durchaus auch Erwachsenen, zum Ausgleich gelegentlich aufs Schuhwerk zu verzichten, etwa in den eigenen vier Wänden. Will man die verlassen, stehen oft niedrige Temperaturen, ein unebener, dreckiger Boden oder gesellschaftliche Konventionen dem Barfußlaufen entgegen. Barfußschuhe bieten dem Fuß mechanischen Schutz etwa vor Steinen und Wurzeln und stellen auch aus einem anderen Grund eine attraktive Alternative dar: „Wenn wir Barfußschuhe anziehen, gehen unsere Füße sozusagen ins Fitnessstudio.“
„Unsere Untersuchungen ergaben, dass der Fuß durch das Tragen dieses Schuhs nachweislich gestärkt wird.”
Prof. Potthast hat damals die Entwicklung des „Nike Free“ wissenschaftlich begleitet und ihn intensiv getestet. „Unsere Untersuchungen ergaben, dass der Fuß durch das Tragen dieses Schuhs schon nach wenigen Monaten nachweislich gestärkt wird. Auf Kernspin-Aufnahmen war zu sehen, dass bestimmte Muskeln deutlich dicker geworden waren.“ Läuferinnen und Läufer in Barfußschuhen könnten Richtungswechsel schneller vollziehen und verletzten sich seltener. Spätere Studien hätten diese positive Tendenz für andere Modelle bestätigt.
Was spricht dann gegen Barfußschuhe?
Gegen Barfußschuhe spricht das, was gegen Fitnessstudios sprechen kann: dass man es übertreibt. Wolfgang Potthast empfiehlt daher zum einen, Eingewöhnungsphasen einzuplanen, bevor man Barfußschuhe anzieht. Langsam umsteigen also und die Belastung schrittweise erhöhen, schließlich brauchten Knochen, Muskeln und Sehnen Zeit, um sich anzupassen. „Ein unsportlicher Mensch fängt im Fitnessstudio ja auch nicht mit der höchsten Last an.“
Konkret sieht diese Eingewöhnung recht unterschiedlich aus. „Ein durchschnittlich sportlicher Mensch, der dreimal in der Woche eine Stunde Joggen geht, könnte beispielsweise so anfangen, dass er an einem trainingsfreien Tag zehn Minuten in den neuen Barfußschuhen herumtrabt. Oder er nimmt sie als leichtes Zweitpaar mit auf die übliche Laufrunde und probiert sie zwischendurch für eine Viertelstunde aus.“ Unterstützend seien Kräftigungsübungen für die Füße sinnvoll, die man später vor dem Fernseher ausführen kann. Professor Potthast hat eine Reihe solcher Übungen zusammengestellt, die für alle sinnvoll sind – auch für die, die sich nicht gerade an Barfußschuhe gewöhnen wollen.
Kräftigungsübungen für die Füße
- Mit den Zehen beider Füße die Enden einer Socke greifen, der linke Fuß macht „Tauziehen“ gegen den rechten.
- Elastisches Trainingsband oder einen alten Fahrradschlauch zum Beispiel an einem Tischbein befestigen, mit den Zehen oder dem Fußrücken hineingreifen und daran ziehen.
- Das Band halten, mit den Zehen oder den Fußsohlen hineinsteigen und gegen den Widerstand des Bands und der Hände drücken.
- Barfuß auf die Zehenspitzen stellen.
- Im Stand versuchen, mit den Zehen Dinge von Boden aufzuheben.
Auch erfahrene Barfußschuhträger können sich schaden, wenn sie zu exzessiv unterwegs sind. „Übertrieben langes barfußähnliches Laufen hat schon zu Ödemen in den Mittelfußknochen geführt, ein Zeichen von Überbelastung. In Einzelfällen kam es sogar zu Ermüdungsbrüchen.“ Das lasse sich allerdings leicht verhindern, indem man das Training einstellt, sobald Schmerzen aufkommen. Aus diesem Grund sei es – sofern keine orthopädischen Probleme bestehen – nicht notwendig, sich ärztlich beraten zu lassen, bevor man den Barfußschuh überstreift: „Sollten Beschwerden auftreten, ist es immer noch früh genug, dann zum Arzt zu gehen.“
Sind Barfußschuhe das Richtige für den Alltag?
Ursprünglich entwickelt wurden Barfußschuhe für den Sport. Allerdings spricht nichts dagegen, sie auch im Alltag zu tragen – wenn man es in Maßen tut und den Füßen beim Einstieg Zeit zur Eingewöhnung lässt. In der Summe ist ein ausgewogenes Verhältnis aus gut besohlten Schuhen und Barfußgehen zu empfehlen.
„Wolfgang Potthast rät davon ab, ausschließlich Barfußschuhe zu tragen.”
„Es gibt schließlich gute Gründe, dass wir uns vor ein paar Tausend Jahren angewöhnt haben, Schuhe anzuziehen“, sagt Wolfgang Potthast. Er rät davon ab, ausschließlich Barfußschuhe zu tragen. „Es gilt einmal mehr die Regel: Die Dosis macht das Gift.“ Und ob man Socken darunter anziehen sollte? Manche Modelle böten dafür gar nicht genug Platz. „Ansonsten macht das nicht viel aus. Das würde ich den Nutzerinnen und Nutzern überlassen.“
Fazit
Öfter mal barfuß zu laufen ist eine gute Sache, gerade für Kinder. Das kann man allerdings auch, ohne sich dafür spezielles – und teilweise recht teures – Schuhwerk zu kaufen. Nichts spricht dagegen, Barfußschuhe gelegentlich im Alltag zu tragen. Ein übertriebener Einsatz aber kann sogar schaden. Wie überall kommt es auf die Mischung an.
Quellen
- Interview mit Prof. Dr. Wolfgang Potthast, Leiter der Abteilung für klinische und technologische Biomechanik und des Instituts für Biomechanik und Orthopädie der Deutschen Sporthochschule Köln
- Elizabeth E. Miller, Katherine K. Whitcome, Daniel E. Lieberman, Heather L. Norton, Rachael E. Dyer: The effect of minimal shoes on arch structure and intrinsic foot muscle strength. In: Journal of Sport and Health Science 3(2). 1. Juni 2014, S. 74–85
- Jan-Peter Goldmann, Maximilian Sanno, Steffen Willwacher, Kai Heinrich, Gert-Peter Brüggemann: The potential of toe flexor muscles to enhance performance. In: J Sports Sci. 2013; 31(4): S. 424-33
- Wie ist der Fuß aufgebaut? | Gesundheitsinformation.de
- Schuhe: Was taugen Barfußschuhe? Was Barfuß-Schuhe leisten und was nicht – Landesschau Rheinland-Pfalz – TV
- Barfußschuhe: Sind sie gesund? Was Experten dazu sagen – ZDFheute
- Barfussschuhe – The Heritage Post

Prof. Dr. Wolfgang Potthast
Experte
Leiter der Abteilung für klinische und technologische Biomechanik und des Instituts für Biomechanik und Orthopädie der Deutschen Sporthochschule Köln

Markus Düppengießer
Autor
Markus Düppengießer, Journalist und Lektor, lebt in Köln. Früher schrieb er vor allem für Tageszeitungen, heute für verschiedene Fachmedien (on- und offline) aus den Bereichen Gesundheit und Personalwesen, für ein Straßenmagazin und eine Kinderzeitung. Zudem ist er Dozent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.