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Was tun, wenn das Kind kifft – So riskant ist die Cannabis-Sucht
Immer mehr Jugendliche konsumieren Cannabis, oft zur großen Sorge ihrer Eltern. Studien zufolge schaden die psychoaktiven Substanzen der Hanfpflanze insbesondere dem Gehirn von Heranwachsenden. Zwar gilt der elterliche Einfluss auf den Drogenkonsum ihrer Kinder als begrenzt. Doch es gibt mindestens zwei wichtige Maßnahmen, damit aus dem gelegentlichen Zug am Joint keine Gewohnheit der Teenager wird: Anteil nehmen und Ruhe bewahren.
Völlig harmlos. Total in Ordnung. Wahrscheinlich sogar gesund. Viele Jugendliche halten Kiffen heutzutage für eine ganz normale Freizeitbeschäftigung. Aktuelle Zahlen zeigen, dass gerade junge Menschen immer häufiger Cannabis rauchen. Vor allem die Neugier ist meist groß.
So zeigt der jüngste Forschungsbericht der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zur Drogenaffinität von Jugendlichen, dass unter den 12- bis 17-Jährigen mehr als jeder zehnte und unter den 18- bis 25-Jährigen sogar fast die Hälfte der Befragten Cannabis zumindest einmal im Leben probiert haben.
Bei den meisten von ihnen bleibt es nicht beim einmaligen Versuch. Dem aktuellen Drogenbericht der Bundesregierung zufolge haben in Umfragen rund 8 Prozent der 12- bis 17-Jährigen und 24 Prozent der 18- bis 25-Jährigen angegeben, im vergangenen Jahr Marihuana oder Haschisch, also die Blüten oder das Harz der weiblichen Hanfpflanze, konsumiert zu haben.
Damit ist Cannabis mit Abstand die am häufigsten verwendete illegale Substanz. Und der Trend geht klar nach oben: Vor fünf Jahren waren es bei den 12- bis 17-Jährigen noch 7 Prozent und bei den 18- bis 25-Jährigen 15 Prozent.
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Vor allem für junge Menschen ist Cannabis nicht ungefährlich
Die im Jahr 2017 beschlossene Zulassung von Cannabis als Medizin ist an dieser Entwicklung womöglich nicht ganz unbeteiligt. Gerade Jugendliche gehen inzwischen offenbar vermehrt davon aus, dass ihnen der Konsum einer als Arzneimittel geltenden Pflanze keinesfalls schaden kann.
„Diese Annahme ist allerdings falsch“, sagt Dr. Stefan Gutwinski, der Leiter der Arbeitsgruppe Psychotrope Substanzen an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Berliner Charité. „Man weiß heute, dass Cannabis insbesondere zwei Gruppen von Menschen gefährlich werden kann“, sagt Gutwinski: „Jungen Menschen unter 25 Jahren, deren Gehirnentwicklung noch nicht abgeschlossen ist, und all jenen, die zu Psychosen neigen.“
So haben dem Charité-Mediziner zufolge, mehrere Studien übereinstimmend gezeigt, dass die kognitive Leistungsfähigkeit jugendlicher Cannabis-Konsumenten durch die in der Hanfpflanze enthaltenen Substanzen irreversibel gemindert werden kann.
Insbesondere bei Probanden, die Cannabis mehrmals pro Woche eingenommen hatten, waren demnach das Lernvermögen und das Gedächtnis dauerhaft beeinträchtigt: Die Effekte blieben selbst bei den Studienteilnehmern nachweisbar, die ihren Cannabis-Konsum irgendwann eingestellt hatten.
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Die Effekte – beeinträchtigtes Lernvermögen und Gedächtnis – blieben selbst bei den Studienteilnehmern nachweisbar, die ihren Cannabis-Konsum irgendwann eingestellt hatten. Dr. Stefan Gutwinski/ Berliner Charité
Die Zahl der durch Cannabis ausgelösten Psychosen nimmt zu
Für manche der jugendlichen Konsumenten kommt es allerdings noch schlimmer. „Wir beobachten seit Jahren eine zunehmende Anzahl junger Patienten, die wegen einer durch Cannabis ausgelösten Psychose in die Psychiatrie eingeliefert werden müssen“, sagt Prof. Dr. Carlos Schönfeldt-Lecuona von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III am Universitätsklinikum Ulm.
Die Erkrankung kann mit Halluzinationen, Wahnvorstellungen, Zerfahrenheit und Verhaltensstörungen einhergehen. „Für die Betroffenen selbst, aber auch für deren Familie und Freunde ist sie fast immer eine sehr schockierende Erfahrung“, sagt Schönfeldt-Lecuona.
Der Psychiater hat die Entwicklung der durch Cannabis hervorgerufenen Psychosen an der Ulmer Klinik seit dem Jahr 2011 beobachtet und die Ergebnisse gemeinsam mit seinem Kollegen Prof. Dr. Maximilian Gahr in der Fachzeitschrift „Journal of Clinical Psychopharmacology“ veröffentlicht.
Wie die Forscher in ihrer Studie berichten, wurden im Jahr 2011 nur 7 Patientinnen und Patienten wegen einer Cannabis-induzierten Psychose in ihrer Klinik behandelt. Fünf Jahre später waren es bereits 24 und im Jahr 2019 sogar 59. Meist handelte es sich dabei um junge Männer. Bei anderen psychiatrischen Erkrankungen hingegen war keine vergleichbare Steigerung der Fallzahlen zu verzeichnen.
Moderne Cannabis-Züchtungen enthalten viel THC und wenig CBD
„Ein Grund für diese Entwicklung könnte sein, dass moderne Cannabis-Züchtungen und synthetisch hergestellte Cannabis-Produkte, die immer leichter zugänglich werden, heutzutage sehr viel höhere THC-Konzentrationen aufweisen als noch vor einigen Jahren“, sagt Gahr.
THC ist die Abkürzung für die psychoaktive Substanz Tetrahydrocannabinol, die den Rauscheffekt verursacht. Bei den meisten Konsumenten wirkt sie stimmungsaufhellend, euphorisierend und gleichzeitig entspannend. Oft verändern sich durch sie zudem die Wahrnehmung von Sinnesreizen sowie das Zeit- und Raumgefühl. Gewöhnlich halten die Effekte einige Stunden lang an.
Der zweite wichtige Inhaltsstoff von Cannabis ist die Substanz Cannabidiol, kurz CBD genannt. CBD-haltige Produkte ohne THC sind in Deutschland inzwischen legal und frei verkäuflich. Cannabidiol wirkt ebenfalls entspannend und kann unter anderem Ängste, Schmerzen und Übelkeit lindern. Außerdem geht man davon aus, dass es die berauschenden Wirkungen von THC abschwächt.
„Neue Cannabis-Sorten, die speziell wegen ihrer psychoaktiven Wirkungen gezüchtet worden sind, enthalten daher oft viel THC und wenig CBD“, sagt Gahr. Das mache sie besonders gefährlich: „Neben Psychosen und kognitiven Beeinträchtigungen kann Cannabis depressive Störungen und das sogenannte amotivationale Syndrom zur Folge haben, das mit Antriebslosigkeit und Gleichgültigkeit einhergeht“, erläutert Gahr.
Zudem könne die Droge, da sie im Gehirn ein Belohnungssystem aktiviert, süchtig machen. Schätzungen zufolge entwickelt etwa jeder zehnte Cannabis-Konsument eine Abhängigkeit. Je früher im Leben der Konsum beginnt und je öfter er erfolgt, desto größer ist die Suchtgefahr. In Deutschland leben derzeit vermutlich zwischen 300.000 und 400.000 Menschen, die von Cannabis abhängig sind.
Die Gefahr der Hanfpflanze steigt mit der Menge des Konsums
Doch ab wann genau wird Kiffen bei Jugendlichen zum Problem? Schon mit dem ersten Joint oder erst, wenn es zur Gewohnheit wird und kaum noch ein Tag oder Wochenende ohne Cannabis vergeht? „Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten“, sagt Schönfeldt-Lecuona. Mindestens drei Faktoren spielen, dem Ulmer Psychiater zufolge, eine wichtige Rolle:
- Das persönliche Risiko: Manche Menschen sind ganz offenbar gefährdeter als andere, durch Cannabis psychische oder physische Beschwerden zu entwickeln. Das Risiko lässt sich im Vorfeld nicht sicher beurteilen.
- Die Menge des Konsums: Je öfter und je mehr Cannabis konsumiert wird, desto gefährlicher wird die Droge. Ein täglicher Konsum gilt in jedem Fall als problematisch.
- Die verwendete Cannabis-Sorte: Je höher der THC- und je niedriger der CBD-Gehalt ist, desto riskanter ist der Konsum. Die meisten Konsumenten wissen allerdings gar nicht, welche Mengen an psychoaktiven Substanzen das von ihnen verwendete Haschisch oder Marihuana enthält.
„Inzwischen gilt es als belegt, dass bereits der einmalige Konsum von Cannabis bei Jugendlichen mit einem erhöhten Risiko für psychische Störungen einhergeht“, sagt Schönfeldt-Lecuona. Eine 2019 im Fachmagazin „Journal of Neuroscience“ erschienene Studie hat zudem gezeigt, dass schon der ein- oder zweimalige Konsum das Volumen der grauen Hirnsubstanz in dem sich noch entwickelnden Gehirn der Teenager signifikant verändern kann.
Der Berliner Cannabis-Experte Gutwinski möchte die Gefahren eines gelegentlichen Gebrauchs der Hanfpflanze dennoch nicht überbewerten. „Natürlich ist es gesünder, komplett auf Drogen zu verzichten“, sagt er. „Doch nicht alle Jugendlichen, die einmal im Monat, vielleicht auf einer Party, an einem Joint ziehen, entwickeln deswegen gleich psychische Probleme.“
Was ist schlimmer: Joint, Zigarette, Alkohol?
Viele Jugendliche Konsumenten, vor allem aber auch ihre Eltern, fragen sich vermutlich, was schädlicher ist: Kiffen, Rauchen oder Trinken. Doch eine einfache Antwort gibt es auch auf diese Frage nicht. „Das Rauchen von Tabak darf man nicht verharmlosen“, sagt der Ulmer Psychiater Gahr. „Jährlich sterben in Deutschland etwa 125.000 Menschen an den Folgen des Tabakkonsums.“ Da ein Joint in der Regel auch Tabak enthalte, sei Cannabis-Rauchen vermutlich ähnlich toxisch für den Körper.
Durch Alkohol sterben Gahr zufolge hierzulande jedes Jahr rund 40.000 bis 50.000 Menschen. „Im Vergleich zu Alkohol ist Cannabis zwar für viele Organe weniger schädlich“, sagt Gahr. „Die Funktion des Gehirns aber wird durch die Inhaltsstoffe der Hanfpflanze öfter als durch Alkohol verändert.“ Und die Wahrscheinlichkeit von dadurch bedingten psychischen Beeinträchtigungen sei mindestens so hoch wie beim Alkohol. Ein direkter Vergleich sei aber schwierig. Ob und, wenn ja, wie viele Menschen wegen Cannabis sterben, ist unbekannt.
Beim Thema Suchtprävention sind Eltern nicht völlig machtlos
Klar ist hingegen: Der elterliche Einfluss auf den Drogenkonsum ihrer Kinder ist begrenzt. Und Verbote schaden meist mehr, als dass sie nutzen. Dennoch sind Eltern natürlich nicht völlig machtlos, wenn es darum geht, dass aus dem einmaligen oder gelegentlichen Zug am Joint keine Gewohnheit ihrer Teenager wird. Um einem regelmäßigen Konsum oder gar einer Cannabis-Sucht vorzubeugen, empfehlen die Psychiater Schönfeldt-Lecuona und Gahr allen Eltern, die folgenden Punkte zu beherzigen:
- Pflegen Sie eine gute und offene Kommunikation mit Ihren Kindern.
- Ignorieren, bagatellisieren und beschönigen Sie den Konsum von Cannabis nicht.
- Sprechen Sie den Konsum an und stellen Sie ihn als Gefahr für die Gesundheit dar.
- Erklären Sie Ihren Kindern die Nachteile eines langfristigen Konsums.
- Versuchen Sie, die Gründe für den Cannabis-Konsum herauszufinden.
- Seien Sie Ihren Kindern Vorbild und verzichten selbst auf den Konsum von Cannabis, Tabak und starke Alkoholika.
- Ermöglichen Sie Ihren Kindern eine gute Tagesstruktur und fördern Sie deren Hobbies und andere sinnvolle Tätigkeiten.
- Bieten Sie Ihre Hilfe an: Wenn Sie das Gefühl haben, dass Ihr Kind bereits regelmäßig kifft, schlagen Sie ihm vor, gemeinsam zu einer Sucht- oder Familienberatungsstelle zu gehen. Manchmal kann auch ein Wechsel der Schule, der Ausbildungsstelle oder des Hobbies hilfreich sein.
Teenager sind neugierig – und müssen ihre Grenzen testen
Die Drogenbeauftrage der Bundesregierung Daniela Ludwig bewertet die Situation ganz ähnlich. „Das Allerwichtigste ist, dass Eltern Anteil am Alltag ihres Kindes nehmen“, sagt sie. Entscheidend sei zudem, Ruhe zu bewahren, wenn der Nachwuchs erste Erfahrungen mit Cannabis mache.
„Jugendliche sind neugierig, testen Grenzen und probieren Verschiedenes aus – dazu gehören manchmal auch verbotene Dinge wie der Konsum von Drogen“, betont Ludwig. Oft bleibe es beim Ausprobieren. „Trotzdem sollten Eltern die Sache ernst nehmen und das Gespräch suchen, wenn sie vermuten oder bereits wissen, dass ihr Kind kifft.“
Hier erhalten Sie Hilfe für Ihr Kind
- Telefonische Beratung in allen Sucht- und Drogenfragen für Betroffene und Angehörige gibt es anonym und rund um die Uhr bei der bundesweiten „Sucht & Drogen Hotline“ unter der Nummer 01806 – 313031.
- Eine Möglichkeit zum Austausch und zur Beratung per Chat gibt es hier: https://www.drugcom.de/beratung/chat-und-chat-beratung-bei-fragen-zu-drogen-und-abhaengigkeit/
- Die nächstgelegene Suchtberatungsstelle findet sich im Internet unter https://www.dhs.de/service/suchthilfeverzeichnis. In den Beratungsstellen gibt es persönliche Hilfe vor Ort für Betroffene und Angehörige.
- Mit dem Selbsttest „Cannabis Check“ können Jugendliche selbst herausfinden, wie riskant ihr Cannabis-Konsum derzeit ist. Der Test dauert ungefähr 5 bis 10 Minuten und findet sich unter: https://www.drugcom.de/tests/selbsttests/cannabis-check/
- Wer seinen Cannabis-Konsum reduzieren oder beenden möchte, erhält auf dieser Seite jede Menge Unterstützung: https://www.quit-the-shit.net
- Hier finden sich weitere Informationen und Hilfsangebote für Eltern und Jugendliche zum Thema Cannabis: https://www.cannabispraevention.de, https://www.drugcom.de/drogen/alles-ueber-cannabis/
Quellen
- https://www.bzga.de/fileadmin/user_upload/PDF/studien/Drogenaffinitaet_Jugendlicher_2019_Basisbericht.pdf
- https://www.drogenbeauftragte.de/presse/detail/jahresbericht-der-drogenbeauftragten-der-bundesregierung-2020/
- https://www.uni-ulm.de/home/uni-aktuell/article/drogen-trip-ins-krankenhaus-ulmer-klinikstudie-cannabis-psychosen-nehmen-drastisch-zu/
- https://www.jneurosci.org/content/39/10/1817
Anke Brodmerkel
Autorin
Anke Brodmerkel hat Biologie und Chemie studiert und lange für die Berliner Zeitung als Medizinredakteurin gearbeitet. Sie lebt mit ihrer Familie nahe Flensburg und schreibt über alle Aspekte zum Thema Gesundheit – für Zeitungen, Magazine und Online-Portale. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie während eines zweijährigen Segeltörns durch Europa.