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Erlerntes Riechen – warum der Frühling nach guter Laune riecht

Auch wenn es zuweilen noch kalt und grau draußen ist – wenn wir die Fenster öffnen und die Nase nach draußen stecken, dann riechen wir ihn schon: den Frühling. Aber wie kann das eigentlich sein? Und wonach duftet die Jahreszeit? Zellphysiologe, Prof. Hans Hatt, erklärt im Artikel, warum die Natur im Frühling zu einem wahren Synapsen-Feuerwerk in unserem Gehirn führt. Er beschreibt, wie der allererste Frühlingsduft riecht: eher „modrig bis muffig, vielleicht sogar verfault“. Trotzdem begrüßen und genießen wir ihn.

Die Temperaturen steigen, am Himmel zeigt sich nach vielen Wochen grauen Winterlichts mal wieder die Sonne, irgendwo zwitschert ein Vogel und vielleicht summt auch schon ein Insekt am Ohr vorbei. Sobald das letzte Eis im Boden geschmolzen ist, stecken auch schon ein paar Schneeglöckchen und Krokusse ihre grünen Mantelblätter aus der Erde. Wenn der Frühling kommt, dann ist das ein Fest für die Sinne. Wir fühlen, riechen und sehen seine Boten.

Wir riechen sie aber vor allem – schon zu einer Zeit, in der es uns noch zu sehr friert, um den Wintermantel schon in den Schrank zu hängen. Und das macht auch etwas mit unserer Psyche. Die besonderen Duftstoffe, welche die Natur im Frühling zu bieten hat, führen zu einem wahren Synapsen-Feuerwerk in unserem Gehirn.

„Die Duftstoffe, welche die Natur zu bieten hat, führen zu einem wahren Synapsen-Feuerwerk in unserem Gehirn.”

Wie die Nase funktioniert

Über etwa zehn Millionen Riechzellen verfügt der Mensch – pro Nasenloch sind es fünf Millionen, verrät Dr. Dr. Dr. Hanns Hatt, Professor für Zellphysiologie an der Ruhr-Universität Bochum. Darauf sitzen etwa 400 unterschiedliche Duftrezeptoren. „Den ersten haben wir in Experimenten mit dem aktivierenden Duftstoff entschlüsseln können. Der Rezeptor ist zuständig für das Duftmolekül frische Meeresbrise“, sagt Hatt. Duftmoleküle in der Luft gibt es mannigfache, Hatt geht von Zehntausenden aus.

Bei steigenden Temperaturen im Frühling werden mehr und mehr von ihnen freigesetzt. „Das kann man sich so vorstellen wie bei der Tomatensuppe aus der Tiefkühltruhe. Die riecht erstmal nach nichts, wenn sie noch zu Eis gefroren ist. Aber während sie auf dem Herd erwärmt wird, beginnt sie immer stärker zu duften“, sagt Hatt.

Riechen als eine Art Überlebenskompass

Das Riechen zählt entwicklungsgeschichtlich zu den ältesten Sinnen von Lebewesen. „Schon die Einzeller im Wasser haben ihre Informationen über chemische Reize erhalten“, erklärt Professor Hanns Hatt. Diese Übertragungsweise war in der Evolution einfach lange anderen Sinneswahrnehmungen überlegen. Schließlich war es gerade in Tiefseeregionen zu dunkel, um sich auf die Augen zu verlassen. Und auch das Gehör zeichnet sich unter Wasser nicht durch besondere Glanzleistungen aus.

„Der Geruchssinn diente uns schon immer als eine Art Überlebenskompass.”
Dr. Hans Hatt

Alles, was ein Einzeller wissen musste, bekam er deshalb zu Beginn der Entwicklung des Lebens laut Hatt über chemische Reize mit: Kann ich das essen? Kündigt sich Gefahr an? Wo finde ich einen fortpflanzungsfähigen Partner? „Der Geruchssinn diente uns also schon immer als eine Art Überlebenskompass“, sagt Hatt. Eine Studie hat ergeben, dass sich das Sterberisiko von Menschen, die schlecht riechen können, im Vergleich zu Gleichaltrigen mit normalem Geruchssinn innerhalb von zehn Jahren signifikant erhöht.

Warum der Geruch direkt im Gedächtnis landet

Weil das Riechen eine so ursprüngliche Fähigkeit aller Lebewesen ist, hat es auch eine Premiumverbindung ins Gedächtnis- und Emotionszentrum unseres Gehirns, erklärt Hatt. Während alles Gehörte oder Gesehene erst ein paarmal umgeschaltet werden muss, um dorthin zu gelangen, ist für die Informationen aus dem Riechkolben quasi eine direkte Standleitung reserviert. Die Abspeicherung der Nachrichten aus dem Riechkolben im Gedächtniszentrum wird direkt mit den Informationen aus dem limbischen System verknüpft, das man für die Verarbeitung von Emotionen und dem Triebverhalten verantwortlich zeichnet.

Das Dreieck Geruch – Gefühl – Gedächtnis führt also auch dazu, dass uns der Geruch zu Gefühlen zurückwerfen kann, die schon Jahrzehnte zurückliegen. Das kann der Geruch eines bestimmten Parfums, eines frischen Apfelkuchens, wie ihn die eigene Großmutter immer gebacken hat, oder eben auch der Geruch des Frühlingserwachens sein.

„Das Dreieck Geruch – Gefühl – Gedächtnis führt dazu, dass uns der Geruch zu zurückliegenden Gefühlen führen kann.”

Der französische Romantiker Alfred de Musset hat die enge Verbindung einmal so ausgedrückt: „Düfte haben mehr als eine Ähnlichkeit mit der Liebe, und manche Leute glauben sogar, die Liebe sei selbst nur ein Duft; wahr ist, dass die Blume, der sie entströmt, die schönste der Schöpfung ist.“

Forscher haben herausgefunden, dass derjenige, der einen bevorzugten Geruch wahrnimmt, damit seinen Hippocampus sowie die Amygdala aktiviert. So könnten lebhafte Erinnerungen sogar dann wachgerufen werden, wenn wir den dazugehörigen Geruch gar nicht bewusst wahrnähmen. Schon Aristoteles schrieb in der Antike darüber, dass Düfte zur Freude beitragen, „indem sie das Gehirn erwärmen und damit auflockern“.

Auch vermeintlicher Gestank kann beflügeln

Generell gut riechen muss es übrigens objektiv gar nicht, um die Psyche positiv zu beeinflussen. Das zeigt das Beispiel des „Neuwagengeruchs“, wie Hatt ihn nennt. Was man in einem neuen Fahrzeug da durch die Nase einsaugt, das ist hauptsächlich der Geruch von Plastik und Klebstoff. „Ehrlicherweise stinkt das für manche“, so Hatt. „Dennoch ruft das positive Emotionen bei denjenigen hervor, die sich an das stolze Gefühl erinnern, das sie empfunden habe, als sie nach langem Sparen endlich in der Lage war, sich ein neues Auto zu kaufen.“

Wie der Frühling riecht

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Eine festgelegte Duftstoffrezeptur für den Frühling gibt es nicht, sagt Hatt. Schließlich sei Dufterkennung nicht angeboren, sondern erlernt. Und deshalb spiele auch hier die individuelle Erinnerung eine zentrale Rolle. Und auch die Flora des Herkunftslandes. Ein Amerikaner werde also bei ganz anderen Gerüchen an das Erwachen der Natur erinnert als ein Asiate oder Europäer.

„Entscheidend ist beispielsweise, wo man seine Kindheit verbracht hat. Wer neben einem Biergarten groß wurde, der hat vielleicht die blühenden Kastanien und den Geruch von Grillwurst als Frühlingsduft abgespeichert. Wer schon immer in der Stadt lebte, für den riecht sogar der sich aufwärmende Asphalt nach Frühlingsaufbruch. Wer auf dem Land großgeworden ist, wie ich, der findet in der Tat, dass der sich erwärmende Misthaufen nach Frühling riecht.“

„Dufterkennung ist erlernt. Deshalb spielt auch hier die individuelle Erinnerung eine zentrale Rolle.”

Der Frühling riecht eher „modrig bis muffig“

Der Mist soll riechen wie der Frühling? Was Hatt da von sich selbst erzählt, ist so ganz eigenartig nicht. Schließlich haben Forscher herausgefunden, dass der typische Frühlingsduft keineswegs an Flieder oder Maiglöckchen erinnert. Die Düfte verströmenden Blumen wachsen und erfüllen schließlich erst im Vollfrühling die Luft mit ihren Geruchsmolekülen. Der erste Frühlingsbote heißt deshalb Geosmin, wird von Mikroorganismen im Boden produziert, wenn sich die Erde im Frühling erwärmt, und riecht ehrlicherweise eher „modrig bis muffig, vielleicht sogar verfault“, wie Hatt es beschreibt.

Dennoch weckt der Moder in der Luft den Menschen aus dem emotionalen Winterschlaf und signalisiert dem limbischen System zum Teil schon Anfang Februar: Jetzt kommt der Frühling! Auch Parfumeure machen sich diese direkte Verbindung zum Gehirn ihrer Kunden zu Nutze und mischen ein bisschen Maiglöckchen oder Patschuli ins Duftwasser.

Die meisten Menschen wird eine Nase dieser Frühlingsluft in gute Laune versetzen. Schließlich gilt das Erwachen der Natur und das Wiedererblühen des Lebens als etwas Schönes. Allerdings gibt es Ausnahmen. Wer sich im Frühjahr vor den Pollen fürchtet, weil er Allergiker ist und deshalb weiß, dass nun die Zeit der verklebten Augen und verstopften Nase beginnt, der wird den Frühlingsgeruch nicht leiden können und ihn eher als Gestank wahrnehmen.

Warum auch der Körper von Duft profitiert

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Wer denkt, dass nur in der Nase Duftrezeptoren sitzen, der unterschätzt den menschlichen Körper. „Alle Körperzellen stellen Duftrezeptoren her. Sie benutzen diese nur für unterschiedliche Zwecke“, sagt Hatt. Allerdings haben die Rezeptoren außerhalb der Nase nichts mit dem Riechen zu tun, sondern sind für zellbiologische Prozesse verantwortlich. Und so können Duftstoffe auch auf der Zellebene viel Positives auslösen.

„Alle Körperzellen stellen Duftrezeptoren her. Sie benutzen diese nur für unterschiedliche Zwecke.”
Dr. Hans Hatt

Das wusste man schon in der Antike, als man beispielsweise versuchte, durch Gerüche Gebärmutterleiden zu heilen. „Hautzellen wachsen beispielsweise schneller, wenn man Düfte therapeutisch einsetzt. Wunden können so besser heilen. Kümmelduft wiederum kann die Verdauung stimulieren. Inhalierter Lavendelduft kann im Gehirn Schlafrezepturen aktivieren“, sagt Hatt.

Auch die Haare könnten beispielsweise von einem synthetisch hergestellten Sandelholzduft profitieren und so ihren Lebenszyklus verlängern. „So kann Dufttherapie auch dann klinisch zur Heilung eingesetzt werden, wenn der Geruchssinn gestört oder gar nicht mehr vorhanden ist“, sagt Hatt.

Icon, das einen Experten/eine Expertin symbolisiert. Symbol für die Envivas Fach-Experten.

Prof. Dr. Hanns Hatt

Experte

Professor für Zellphysiologie an der Ruhr-Universität Bochum

Claudia Lehnen

Autorin

Claudia Lehnen wollte als Jugendliche Ärztin werden, entschied sich dann aber dafür, lieber über Medizin und Menschen und ihre Krankheits- und Genesungsgeschichten zu berichten. Die in Köln niedergelassene Journalistin, die im Tageszeitungs-Journalismus zu Hause ist, ist unter anderem auf das Themengebiet Gesundheit spezialisiert.