1. Startseite
  2. Magazin
  3. Gesundheit
  4. Nachhilfe in der Schule soll helfen, nicht belasten – Tipps für Eltern

Nachhilfe in der Schule soll helfen, nicht belasten – Tipps für Eltern

Am Strand unter Palmen ließ es sich gut verdrängen: Das schlechte Zeugnis, auf dem auch ein „mangelhaft“ prangte. Doch bald kehren die Sorgen zurück: Wie kommt unser Kind besser durch das neue Schuljahr? Immer mehr Eltern entscheiden sich für Nachhilfe. Wie kann diese dem Kind wirklich helfen? Wir haben mit Cornelia Heinz gesprochen. Sie ist Diplom-Psychologin und Fachbeauftragte für Schulpsychologie der Bezirksregierung Arnsberg.

Was ist Nachhilfe überhaupt?

Nachhilfe, das sollten wir begrifflich zunächst einordnen, ist eine Unterstützung für Schülerinnen und Schüler, die außerhalb der Schule stattfindet – und extra Geld kostet. „Eine gute Nachhilfelehrkraft bereitet den Unterrichtsstoff systematisch auf und hilft dem Kind, ihn besser zu verstehen“, sagt Cornelia Heinz. Und betont: „Nachhilfe sollte thematisch und zeitlich begrenzt sein. Es geht darum, ein Kind, das punktuell Schwierigkeiten hat, wieder fit zu machen.“

Als Beispiele nennt die Psychologin eine längere Krankheitsphase, eine emotionale Blockade oder eine belastende Trennung der Eltern. Hinkt das Kind im Unterricht hinterher, weil es den verpassten Inhalt selbst nicht aufholen kann, sei Nachhilfe sinnvoll. Und auch dann, wenn die Schülerin oder der Schüler ein bestimmtes Thema in Mathe nicht versteht oder mit der zweiten Fremdsprache hadert. Steht dann ein „befriedigend“ statt einem „ausreichend“ unter der Mathe-Arbeit, löst das sehr gute Gefühle aus: „Das Erfolgserlebnis stärkt den Selbstwert des Kindes – auch für die Zukunft.“

Zusatzversicherung StarterPlus – Sichern Sie jetzt Ihre Kinder umfassend ab

Die Krankenzusatzversicherung für Kinder und Jugendliche

  • Privater Zusatzschutz für Ihr Kind ab dem 1. Tag
  • Rundumschutz in allen wichtigen Lebensbereichen
  • inkl. Leistungen für Brillen, beim Heilpraktiker, im Krankenhaus
Jetzt Beitrag berechnen und online abschließen

Wann hilft Nachhilfe nicht?

Nicht sinnvoll sei Nachhilfe für Kinder, die systematisch mit der Schule überfordert seien, sagt die Psychologin. Ein klassisches Beispiel ist das Grundschulkind, das trotz eingeschränkter Empfehlung aufs Gymnasium geht – und dann mit den Lerninhalten oder der Art des Unterrichts überfordert ist. „Dieses Kind dann jahrelang zur Nachhilfe zu schicken, macht keinen Sinn. Da wird nur Druck aufgebaut“, so die Schulpsychologin. In solchen Fällen sollte man darüber nachdenken, die Schulform zu wechseln, um dem Kind wieder Erfolgserlebnisse zu ermöglichen.

Heinz weist außerdem darauf hin, dass die Schulen verpflichtet sind, den Kindern im Unterricht individuelle Aufgaben zu geben und Förderangebote zu machen. Das gilt erst recht bei Diagnosen wie Lese-Rechtschreib-Schwäche, Legasthenie oder Dyskalkulie, die längerfristig behandelt werden müssen. Cornelia Heinz: „Nachhilfe sollte immer die letzte Möglichkeit sein, wenn das Angebot der Schule nicht mehr ausreicht.“

Wie viele Kinder bekommen Nachhilfe?

Doch offensichtlich sind viele Eltern der Ansicht, dass das Angebot der Schulen nicht mehr ausreicht. Rund eine Milliarde Euro Umsatz macht der Nachhilfe-Markt pro Jahr. Offizielle Statistiken gibt es zwar nicht, doch seit den 1970er Jahren habe die Zahl an Nachhilfestunden zugenommen, schreiben die Autoren einer Studie der Hans Böckler Stiftung aus dem Jahr 2017.

Laut des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) gaben 47 Prozent der Schülerinnen und Schüler im Jahr 2013 an, zumindest einmal im Laufe ihrer Schulzeit bezahlte Nachhilfe genutzt zu haben – ungefähr doppelt so viele wie 15 Jahre zuvor.

Interessanterweise stammen diese großen Studien aus den Jahren 2016 und 2017 – aktuellere Zahlen existieren leider nicht. Cornelia Heinz kann sich aber „gut vorstellen, dass diese Zahlen weiter angestiegen sind“.

Schulpsychologie

Schulpsychologinnen und Schulpsychologen nutzen das Wissen aus der Psychologie, um Eltern, Kinder und Lehrkräfte zu beraten. Häufige Themen sind zum Beispiel Schulverweigerung, Ängste in der Schule, Mobbing, Gesundheitsfürsorge, Teamentwicklung im Kollegium oder Förderung von Lese- und Rechtschreibkompetenzen. Auch das Thema Nachhilfe spielt im Zuge der Beratung von Familien immer wieder eine Rolle, sagt Cornelia Heinz: „Wenn wir Eltern und Lehrkräfte dahingehend beraten, was ein Kind braucht, um sich schulisch weiterzuentwickeln, ist Nachhilfe ein Baustein."

Welchen Effekt hat Corona?

Die Expertin vermutet auch, dass sich dieser Effekt durch Corona und die Schulschließungen noch verstärkt haben könnte. „Die Leistungsschwierigkeiten, aber auch die sozialen und emotionalen Probleme von Schülerinnen und Schülern sind durch Corona massiv angestiegen. Da wäre es für mich nur logisch, wenn auch die Zahlen für Nachhilfe nach oben gegangen sind.“

Richtig nachweisen ließ sich das auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie – rund um die Schulschließungen im Winter 2021 – allerdings noch nicht. Eine Umfrage des ifo-Instituts wollte von Eltern wissen, ob ihre Kinder seit den ersten Schließungen an kostenpflichtiger Nachhilfe oder von der Schule organisierten Fördermaßnahmen teilgenommen hatten, um entgangenen Schulstoff aufzuholen. Das Ergebnis: Insgesamt 21 Prozent der Schülerinnen und Schüler hatten an einer der Maßnahmen teilgenommen. Interessanterweise waren das vor allem Kinder aus Akademikerfamilien.

Welche Eltern schicken ihre Kinder zur Nachhilfe?

Ein Effekt, der nicht nur in der Corona-Pandemie auftrat. Die großen Studien aus den Jahren 2016 und 2017 zeigen, dass Schülerinnen und Schüler von Gymnasien am häufigsten Nachhilfe in Anspruch nehmen. Und solche aus einem wohlsituierten Elternhaus, haben die Forschenden der Hans Böckler Stiftung herausgefunden: „Bezahlte Nachhilfestunden nehmen 13 Prozent der Kinder aus armen Elternhäusern, die weniger als die Hälfte des mittleren Einkommens zur Verfügung haben. In der Mittelschicht sind es um die 20 Prozent. Bei Familien, die mehr als das Doppelte des mittleren Einkommens verdienen, kümmert sich um fast jedes dritte Kind ein Nachhilfelehrer.“

Die Stiftung resümiert auf ihrer Homepage: „Die meiste Nachhilfe bekommt der Nachwuchs höherer Schichten – deren Angehörige häufig von Abstiegsängsten geplagt sind, die sie auf ihre Kinder projizieren.“

„Wenn eigentlich gute Schülerinnen und Schüler zur Nachhilfe geschickt werden, kann schnell das Gefühl entstehen, nicht zu genügen”
Cornelia Heinz

Apropos Leistungsdruck: Die Studien zeigen, dass mittlerweile auch solche Kinder zur Nachhilfe geschickt werden, die bereits gute oder befriedigende Noten haben. Wohl in der Hoffnung, dass der Nachwuchs doch noch ein „sehr gut“ herausholen kann. „Wenn eigentlich gute Schülerinnen und Schüler zur Nachhilfe geschickt werden, kann schnell das Gefühl entstehen, nicht zu genügen“, sagt Cornelia Heinz. Und es entwickele sich der schädliche Glaubenssatz: Nur, wenn ich eine gute Leistung erbringe, haben meine Eltern mich lieb.

Wie sieht gute Nachhilfe aus?

Ein guter Nachhilfelehrer sollte sich den Leistungsstand des Kindes genau anschauen und den Unterricht dann so gestalten, dass das Kind schnell Erfolg hat, sagt Cornelia Heinz. Und natürlich sollte er oder sie sich mit dem Unterrichtsstoff befassen – und nicht einen anderen Rechenweg vermitteln als der Mathelehrer in der Schule. Einzelunterricht bringe die besten Lernerfolge. „Doch manchmal ist auch eine Gruppe sinnvoll. Weil man so versteht, dass man nicht der Einzige ist, der etwas nicht versteht.“

„Manchmal reicht es schon zu fragen: Was hast du nicht verstanden? Viele trauen sich in der Klasse nicht, so etwas zu fragen.”
Cornelia Heinz

Ob Einzel- oder Gruppenunterricht, müssen Eltern individuell entscheiden. Genau wie die Frage, ob das Kind in eine professionelle Nachhilfeschule geht oder zum Oberstufenschüler aus der Nachbarschaft. „Die Bindung an den Nachhilfelehrer ist wichtig, das Kind muss einen Draht zu ihm haben“, sagt Heinz. Und manchmal kann der coole Oberstufenschüler, der didaktisch nicht perfekt ausgerüstet ist, aber weiß, wie man mit Jugendlichen redet, die bessere Wahl sein. „Manchmal reicht es schon zu fragen: Was hast du denn nicht verstanden? Viele Schülerinnen und Schüler trauen sich in der Klasse nicht, so etwas zu fragen.“

Was ändern im neuen Schuljahr?

Doch wie geht man das neue Schuljahr konkret an? Wie motiviert man sein Kind mehr zu lernen, ohne es zu sehr unter Druck zu setzen? Die Schulpsychologin empfiehlt, sich in Ruhe mit dem Kind zusammenzusetzen und erstmal zu vermitteln: Egal, was passiert, wir haben dich lieb. Aber es ist uns wichtig, dass du die Schule schaffst. „Und dann sollten Eltern fragen: Was brauchst du dafür? Und zuhören. Als letztes machen Eltern und Kind gemeinsamen einen Plan.“

Und zwar einen realistischen Plan. Ein Kind mit Konzentrationsschwierigkeiten könne nicht noch eine weitere Stunde am Tag lernen. Aber vielleicht 15 Minuten. „Wenn das Ziel zu hochgesteckt ist, verlieren Kinder die Zuversicht und schalten ganz ab“, warnt Heinz.

Ein gewisser Anspruch könne aber auch motivieren. „Wichtig ist, die Verhaltensziele festzusetzen und nicht die Erfolgsziele.“ Also zu sagen: Wir sind zufrieden, wenn du jeden Tag deine Hausaufgaben machst und drei Tage vor der Klassenarbeit täglich 20 Minuten lernst. Aber nicht: Wir erwarten, dass du eine Zwei schreibst. „Denn auf die Note hat das Kind letztlich keinen Einfluss.“

Icon, das einen Experten/eine Expertin symbolisiert. Symbol für die Envivas Fach-Experten.

Cornelia Heinz

Expertin

Diplom-Psychologin und Fachbeauftragte für Schulpsychologie der Bezirksregierung Arnsberg.