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Es wird wieder an der Uhr gedreht: So meistern Eltern die Zeitumstellung mit Ritualen und Routinen
Wenn wieder an den Uhren gedreht wird, verfallen manche Eltern schon Tage vorher in Panik. Denn sie wissen: Die Zeitumstellung wird den empfindlichen Schlafrhythmus ihres Kindes mal wieder aus dem Takt bringen. Wie können Eltern mit der Zeitumstellung umgehen? Wie sieht überhaupt ein gesundes kindliches Schlafverhalten aus? Das haben wir Patrizia Kutz gefragt. Sie ist Leitende Oberärztin eines Schlaflabors und untersucht mit ihrem Team pro Jahr 900 Kinder.
Eigentlich sollte es sie ja längst nicht mehr geben. Schon vor sechs Jahren hatte die Europäische Union beschlossen, die halbjährliche Zeitumstellung 2021 abzuschaffen. Passiert ist seither – nichts. Und das, obwohl sich 84 Prozent der Bürgerinnen und Bürger bei einer Online-Umfrage der EU-Kommission im Jahr 2018 für die Abschaffung ausgesprochen hatten. Doch die Zeitumstellung ist nicht nur nervig, viele Menschen leiden auch darunter.
Laut einer repräsentativen Umfrage der DAK gab ein Viertel der mehr als 1.000 Befragten an, nach der Zeitumstellung schon gesundheitliche Probleme gehabt zu haben. Auch die Zahl der Verkehrsunfälle und die der Herz-Kreislauf-Probleme stieg laut weiterer Studien an, vor allem nach der Umstellung auf die Sommerzeit – denn dann „fehlt“ uns ja eine Stunde.
„Gerade bei den jungen Kindern spielen Hell und Dunkel noch eine große Rolle.”
Spezielle Untersuchungen, inwiefern die Gesundheit von Kindern durch die Zeitumstellung betroffen ist, gebe es nicht, sagt Patrizia Kutz, Leitende Oberärztin im Schlaflabor der Vestischen Kinder- und Jugendklinik Datteln. Aus Erfahrung weiß sie aber: „Gerade die Zeitumstellung im Frühjahr kann zum Problem werden. Wenn es abends länger hell ist, fällt die Dunkelheit als Taktgeber für den Beginn der Schlafenszeit weg. Denn gerade bei den jungen Kindern spielen Hell und Dunkel noch eine große Rolle.“ Sie empfiehlt deswegen dringend, das Schlafzimmer abzudunkeln und so auf künstlichem Wege Nacht herzustellen.
Haben Kinder einen sensibleren Schlaf als Erwachsene?
Ein generelles „Problem“ beim Kinderschlaf sei, dass er einen so großen Einfluss auf den elterlichen Schlaf habe. „Wenn die Kinder Schwierigkeiten haben, ein- oder durchzuschlafen, führt das automatisch zu einem gestörten Schlaf der Eltern.“ Und es sei eben so, dass Babys und Kleinkinder einen empfindlicheren Schlafrhythmus hätten und häufiger aufwachen würden. „Der Schlaf von kleinen Kindern ist nicht so anhaltend wie bei Erwachsenen“, erklärt die Medizinerin. Fast ein Viertel aller Kleinkinder habe Probleme mit dem nächtlichen Durchschlafen, heißt es in einem Artikel der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
Doch auch ältere Kinder haben Zeiten, in denen sie nur schwer in den Schlaf finden oder nachts häufig aufwachen. Das betrifft vor allem Entwicklungsphasen und große Veränderungen im Leben der Kinder wie Umzug, Trennung der Eltern oder die Geburt eines Geschwisterkindes. Bei älteren Kindern kommt noch der Druck aus der Schule hinzu. In all diesen Situationen helfe vor allem eins, sagt Patrizia Kutz: am gelernten Rhythmus festzuhalten.
Wie sieht ein gesunder Schlafrhythmus aus?
„Im ersten Lebensjahr müssen Babys einen Schlafrhythmus finden“, sagt Patrizia Kutz. Denn in den ersten Monaten funktioniere die Ausschüttung des Schlafhormons Melatonin noch nicht zuverlässig. „Der innere Rhythmus des Neugeborenen synchronisiert sich erst mit der Zeit auf den Hell-Dunkel-Rhythmus. Erst ab dem sechsten Monat können Säuglinge genügend Schlafhormone zur richtigen Zeit ausschütten.“
„Im ersten Lebensjahr müssen Babys einen Schlafrhythmus finden.”
Am Anfang hilft Still-Kindern dabei auch die Muttermilch: Die enthält nachts extra viele Schlafhormone. Später entwickeln Kinder dann einen biphasischen Schlaf-Wach-Rhythmus: eine lange Schlafphase in der Nacht, eine kurze nach dem Mittagessen. In unseren Breitengraden werde der Mittagsschlaf häufig im Alter zwischen zwei und drei Jahren abgeschafft. Je nach Familiensituation sei es aber okay, ihn bis zum fünften Lebensjahr beizubehalten.
In südlichen Ländern, in denen auch Erwachsene Siesta halten, sieht die Situation natürlich anders aus. Im Normalfall, sagt die Expertin, seien kleine Kinder Frühaufsteher, Jugendliche Spätaufsteher – der frühe Schulbeginn widerspricht damit dem natürlichen Rhythmus von Teenagern und führt häufig zu chronischer Übermüdung.
Wie lernen Kinder einen gesunden Schlafrhythmus?
Doch zurück zu den Kleinkindern: Damit diese ihren Schlafrhythmus finden können, brauchen sie auch nach dem ersten Geburtstag Unterstützung durch die Eltern – und zwar in Form von Routinen und Ritualen: Regelmäßige Bettgeh- und Aufsteh-Zeiten sind existenziell, die nur im Ausnahmefall 60 bis 120 Minuten abweichen dürfen. Ein weiterer wichtiger Taktgeber sind die Mahlzeiten.
„Das A und O ist aber, dass Eltern diesen Rhythmus vorleben und mitmachen.”
„Das A und O ist aber, dass Eltern diesen Rhythmus vorleben und mitmachen“, so die Medizinerin. Ab dem Kindergarten-Alter rät sie zu einer Tagesreflexion – und zwar unbedingt vor dem Abendessen. Dann werden Sorgen, Probleme und Erlebnisse des Tages besprochen, damit die Kinder diese nicht mit ins Bett nehmen.
„Der Schlaf ist wie ein Waschmaschinenprogramm, das immer nach dem gleichen Muster abläuft. Man muss die Waschmaschine nur gut einstellen“, sagt Patrizia Kutz. „Der Schlaf besteht aus Einzelprogrammen, die immer gleich ablaufen – und zwar so, wie die Nacht anfängt.“ Heißt: Wenn das Einschlafen an etwas gekoppelt ist wie Lesen, Kuscheln, Musik, Hörbücher, Lichtspiele, oder ähnliches, dann brauche der Körper diese Aktivität alle 60 bis 90 Minuten, um in den nächsten Schlafzyklus zu wechseln.
Das gelte natürlich auch für das Einschlafen gemeinsam mit den Eltern. „Fehlen die Eltern, das Buch oder die Musik plötzlich beim Wechsel in die nächste Schlafphase, kann das den weiteren Schlaf fundamental beeinträchtigen.“ Deswegen sei es sehr wichtig, Kinder in einer reizfreien Umgebung einschlafen zu lassen, sagt Kutz. Schlafhygiene lautet hier das Zauberwort.
Wie bringen Eltern ihre Kinder am besten ins Bett?
Heißt das im Rückschluss, Eltern sollten das Kind einfach alleine ins Bett legen und gehen? „Nein“, widerspricht Kutz. Es sei wichtig, nach dem Abendessen an Ritualen wie Lesen, Musikhören oder Kuscheln festzuhalten, damit die Kinder entspannen und vom Tag abschalten können – die Rituale dürften nur nicht direkt an den Schlaf gekoppelt sein. Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel eine räumliche Trennung: Lesen und Kuscheln auf dem Sofa, dann ab ins Bett.
„Rituale dürften nicht direkt an den Schlaf gekoppelt sein: Lesen und Kuscheln auf dem Sofa, erst dann ab ins Bett.”
„Im Kinderbett kann es dann ein kurzes Einschlafritual geben: Fünfmal klatschen, ein Gedicht aufsagen, die Kuscheltiere anordnen, oder irgendetwas anderes, das dem Gehirn signalisiert: Jetzt wird geschlafen“, erklärt Kutz. Denn aus medizinischer Sicht sei Einschlafen lediglich ein Reflex. „Wenn man tagsüber nicht schläft, sammelt sich im Gehirn Adenosin an, das macht müde. Abends im Dunkeln werden dann Schlafhormone ausgeschüttet und wenn man entspannt ist, schläft man ein.“
Dass es in vielen Familien etwas komplizierter ist, weiß Kutz natürlich auch. Es sei auch nichts gegen eine Einschlafbegleitung bei Kindern nach dem ersten Lebensjahr einzuwenden, sagt die Medizinerin. Aber: „Die Eltern sollten sich darüber im Klaren sein, dass Kinder diese weiterhin einfordern werden.“ Wer Entspannungsrituale und Einschlafen entkoppeln möchte, solle das Schritt für Schritt und mit viel Geduld tun – und dem Kind nicht einfach ein liebgewonnenes Ritual wegnehmen.
Was bedeutet all das für die Zeitumstellung?
Das Wichtigste sei, sagt Patrizia Kutz, den gelernten Rhythmus beizubehalten. In den sozialen Medien empfehlen Schlafberaterinnen vor allem, einige Wochen vor der Zeitumstellung damit zu beginnen, das Kind täglich zehn Minuten später (oder früher, je nachdem in welche Richtung die Uhr gestellt wird) ins Bett zu bringen.
Patrizia Kutz findet die Idee der schrittweisen Anpassung gut, aber: „Welche Familie schafft es denn, ein Kind schon Wochen zuvor immer exakt zehn Minuten später ins Bett zu bringen?“, fragt sie provokant. Und ergänzt: „Dieses System würde die Eltern nur noch mehr unter Druck setzen.“ Sie empfiehlt, das Kind nach der Zeitumstellung immer ein bisschen später ins Bett zu bringen, bis man bei der aktuellen Zeit angekommen sei. Entsprechend müssen natürlich auch die Rituale verschoben werden.
Vor allem aber plädiert Kutz für Geduld: Es dauere mindestens zwei Wochen, bis die Kinder sich umgestellt hätten. Machten die Eltern Druck, könne es sogar noch länger dauern. „Ich glaube, je weniger man die Zeitumstellung vor den Kindern zum Thema macht, desto besser funktioniert es“, sagt Kutz. „Wenn das Schlafzimmer ausreichend verdunkelt ist und die anderen Taktgeber des Tages fest etabliert sind, wird es bestimmt gut klappen.“
Ab wann ist es eine Schlafstörung?
Kinder haben immer mal wieder Probleme mit dem Ein- oder Durchschlafen – aber ab wann ist es eine Schlafstörung? Entscheidend ist, sagt Patrizia Kutz: „Es ist immer okay, sich Hilfe zu suchen, wenn eine Belastung da ist.“ Der erste Weg führt zum Kinderarzt. Anhand von Fragebögen versucht er oder sie herauszufinden, ob der Schlaf noch im Normbereich ist oder es Hinweise auf eine Störung gibt.
Bei organischen Problemen wie Schnarchen, Atempausen während des Schlafens oder Störfaktoren wie dem Restless-Legs-Syndrom folgen weitere Untersuchungen. „Sind keine direkten körperlichen Probleme zu erkennen, berät der Kinderarzt in Sachen Schlafhygiene“, erklärt die Medizinerin. „Ist die in Ordnung, folgen weitere Untersuchungen.“ Der letzte Schritt ist dann, dass das Kind ein oder zwei Nächte in einem Schlaflabor überwacht und untersucht wird.
Quellen
- https://kinderklinik-datteln.de/seltene-erkrankungen/schlaf
- https://www.kindergesundheit-info.de/themen/schlafen/schlafprobleme/haeufige-probleme/
- https://www.dak.de/presse/bundesthemen/umfragen-studien/dak-umfrage-ein-viertel-der-menschen-hat-gesundheitliche-probleme-nach-der-zeitumstellung_48292#/
- https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/zeitumstellung-abschaffen-das-ist-daraus-geworden-winterzeit,UQoXf35
- https://www.ardalpha.de/wissen/gesundheit/gesund-leben/wann-zeitumstellung-2024-uhr-umstellen-winterzeit-sommerzeit-normalzeit-gesundheit-100.html

Patrizia Kutz
Experte
Leitende Oberärztin im Schlaflabor der Vestischen Kinder- und Jugendklinik Datteln