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Mehr Sicherheit für Rad und Leben

Fahrradfahren ist eine sehr gesunde Fortbewegungsart – doch gleichzeitig lauern viele Gefahren. Gut, dass wir uns schützen können: Mit Technik am Rad, High-Tech-Entwicklungen, bewährten Helmen oder gar einem Airbag für den Kopf. Lesen Sie, worauf die Experten achten.

Das Fahrrad erlebt einen Boom

Mit Pedalkraft vorankommen, die Gesundheit beflügeln: Das Fahrrad als Verkehrsmittel sowie das Fahrradfahren als Alltagsmobilität und Hobby erleben einen kräftigen Boom. Schön daran: Mit der steigenden Akzeptanz für das Fahrrad in der Gesellschaft wächst auch das persönliche Sicherheitsgefühl der Radfahrenden in Deutschland.

Die Ängste vor Verkehr und Unfällen gehen nachweislich zurück. 63 Prozent der Befragten im Fahrrad-Monitor des Bundesverkehrsministeriums gaben 2021 an, sich sehr oder eher sicher beim Radeln zu fühlen. Dieses positive Gefühl wuchs in den vergangenen Jahren kontinuierlich: Von 53 Prozent 2017 über 56 Prozent 2019 auf den heutigen Höchstwert. Je mehr die Menschen radeln, desto eher fühlen sie sich also auf der Straße wohl. Einerseits.

Fahrradfahren ist messbar gefährlich

Andererseits ist Fahrradfahren objektiv gefährlich. Das zeigt eine Studie des Versicherers Allianz, der sich weltweite Daten angeschaut hat. Jeder vierte Verkehrstote in der Europäischen Union war demnach Radfahrerin oder Radfahrer. Mit dem Boom der motorisierten Pedelecs hat sich auch in Deutschland die Zahl der getöteten Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer in den vergangenen Jahren eher unerfreulich entwickelt.

Während die Zahl der Unfalltoten in Deutschland insgesamt in einem langjährigen Trend sinkt, ist sie bei Fahrradfahrern zwischenzeitig wieder angestiegen. Immer mehr Menschen verunglücken gerade auch mit Fahrrädern mit Zusatzmotor. „Das hat oft damit zu tun, dass sie das Gerät nicht ausreichend bedienen können, aber häufig auch mit einer nicht gut ausgebauten Infrastruktur“, sagt Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer. Erwähnt werden sollte aber auch, dass Pedelec-Fahrer durchschnittlich mehr Kilometer fahren als unmotorisierte Fahrer.

Gefahren reduzieren – diese Grundlagen zählen

Was sich viele nicht bewusst machen: So alltagsnah und einfach die Fahrradnutzung ist, so nah liegt auch die Möglichkeit für einen Sturz, eine Kollision oder manchmal sogar ein Materialversagen. Um den Verkehr mit Fahrrädern möglichst sicher zu gestalten, gilt auch für diese Fahrzeuge in Deutschland die Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) – ebenso wie die Straßenverkehrsordnung (StVO) für das sichere Verhalten auf Fahrbahnen und Radwegen.

„Wir sehen aber insbesondere in Ballungsräumen viele Menschen auf sportlichen Fahrrädern, die kein Licht am Rad haben und zügig in dunkler Kleidung unterwegs sind“, sagt Unfallforscher Brockmann. „Mag sein, dass sie sich sagen: Wenn schon Kamikaze, dann auch richtig.“ Tagsüber braucht man tatsächlich kein Licht mehr am Fahrrad mitzuführen. Aber Brockmann beobachtet, dass die akkubetriebenen Geräte allzu oft auch nach der Dämmerung nicht montiert werden. „Das Licht ist aber ganz entscheidend für die Sicherheit auf dem Fahrrad.“

Sicherheitsbooster Licht: Neue Technik für mehr Sichtbarkeit

Das Licht ist für Dirk Zedler, einen der führenden Experten zur Fahrradsicherheit in Deutschland, ein besonders wichtiges Thema. Hunderte von Gutachten erstellt er mit seinem Team jährlich nach Verkehrsunfällen – und die Beleuchtung sieht er als einen der größten Faktoren für mehr Sicherheit auf dem Rad an. Ein StVZO-zugelassenes Licht mit aufgeladenem Akku oder Strom aus der Radnabe bzw. dem Pedelec-Akku sei dabei das Mindeste.

Zedler sagt: „Die größte technische Innovation für mehr Sicherheit findet sich bei der Beleuchtung.“ So bieten Hersteller inzwischen nicht nur Systeme an, die sich automatisch anschalten, etwa bei der Einfahrt in einen Tunnel oder bei Einbruch der Dunkelheit. Vielmehr gibt es schon für weniger als 30 Euro Bremslichter fürs Fahrrad. Diese Geräte kombinieren die rote Rück-Beleuchtung mit einem zusätzlichen Lichtsignal an den nachfolgenden Verkehr. Dieses Upgrade für die Sicherheit von Radfahrern ist in der StVZO ausdrücklich erlaubt.

Siegfried Brockmann wäre es lieber, wenn Licht an Fahrrädern weiterhin fest verbaut werden müsste – das war bis zur Reform der StVZO der Fall. Denn eine Sache ist mit akkubetriebenen Geräten irgendwann schwierig: Dauerbetrieb auch bei Tag. Eine fest verbaute Beleuchtung kann das. Während Autos und Motorräder auch tagsüber mit Licht fahren, gehen Fahrradfahrer optisch im Verkehr eher unter.

Mit Licht auch am Tag ließe sich dem entgegenwirken. Darauf deuten auch wissenschaftliche Erkenntnisse der dänischen Universität Aalborg hin, die permanentes Licht am Fahrrad als erheblichen Faktor beim Reduzieren von Verkehrsunfällen zeigten.

Mehr Sichtbarkeit ganz analog

Im Übrigen lässt sich die Sicherheit ganz ohne Hightech noch erheblich steigern, nämlich über die Kleidung. Erfahrene Radsportler warnen immer wieder vor dunklen Farbtönen im Straßenverkehr, gerade in der dunklen Jahreszeit. Für mehr Sichtbarkeit sorgen nicht nur helle Farben, sondern auch reflektierende Westen, Reflektor-Kragen zum Umhängen oder sogar spezielle Kleidung fürs Fahrrad.

So gibt es beispielsweise Hosen mit speziellem Schnitt für die Nutzung auf dem Sattel, die am Saum mit reflektierendem Material versehen sind. Das sind kleine Details, die die Sichtbarkeit insgesamt erhöhen und somit vor Unfällen mit Kraftfahrzeugen schützen können. Ebenfalls eine sinnvolle Investition sind Rucksäcke mit Protektor-Einsatz. Sie schützen bei schweren Crashs die Wirbelsäule vor Verletzungen und sind insbesondere bei Mountainbikern im Gelände beliebt.

Checkliste für die Sicherheit

  • Ohne Helm kein Meter – so heißt ein Motto unter Medizinern. Die Studienlage spricht eindeutig für die Schutzwirkung des Fahrradhelms. Eine technische Alternative ist der Airbag von Hövding, der die Frisur schont, aber nicht das Budget.
  • Licht an, Batterie voll? Wer kein fest verbautes Licht am Fahrrad hat, sollte die Beleuchtung regelmäßig aufladen und einen festen Ort fürs Ablegen haben. Gerade in der Hektik vergisst man das Licht – und fährt dann schwer erkennbar durch die Dämmerung.
  • Bremsen checken: Egal ob Felgen- oder Scheibenbremse, die Wirkung der Anlage sollte regelmäßig gecheckt werden. Außerdem empfiehlt es sich, das entschlossene Bremsen auf dem Fahrrad immer wieder zu üben, um das Rad im Notfall zu beherrschen.
  • Feste Schuhe tragen: Die Füße sind die Verbindung zur Achse im Zentrum des Rads und sollten jederzeit sicher mit den Pedalen verbunden sein. Festes Schuhwerk mit kräftigen Sohlen, aber auch Pedalen mit rauer oder zackiger Oberfläche sorgen für Zusammenhalt. Schlecht sind hingegen Flip-Flops oder andere leichte Schuhe, vor allem im Fall eines Abrutschens oder Aufschlags auf den Boden.
  • Harte Norm, selten in Ordnung: Die strengste Prüfnorm gilt übrigens für ein Teil, das oft am Lenker fehlt oder nicht funktioniert – die Fahrradklingel. Diese muss aber nach der StVZO an jedem Fahrrad befestigt sein und auch ertönen. Eine gute Klingel ist eine sinnvolle Investition, vor allem in Anbetracht des zunehmend dichten Verkehrs auf Radwegen.

Oben ohne oder mit? Keine Frage!

Geht es ums Risiko beim Radfahren, dann sind insbesondere schwere und mitunter tödliche Kopfverletzungen relevant. Dagegen gibt es längst effektive Hilfsmittel. Und es besteht kein Zweifel: „Das Nutzen von Fahrradhelmen wird mit geringeren Wahrscheinlichkeiten für Kopfverletzungen, ernsthaften Kopfverletzungen, Gesichtsverletzungen und tödlichen Kopfverletzungen in Verbindung gebracht“, heißt es in einer Meta-Analyse von der australischen Universität New South Wales aus dem Jahr 2017.

Für einen Helm als Schutz des eigenen Lebens spricht eine erhebliche Zahl an Untersuchungen. Aber: „Der Helm muss auch sitzen, sonst kann ich ihn gleich weglassen“, sagt Unfallforscher Siegfried Brockmann. Es genügt nach seiner Ansicht auch nicht, wenn ein Helm die vorgegebenen Prüfnormen erfüllt. Vielmehr habe die eigene Forschung gezeigt, dass insbesondere der Hinterkopf und die Stellen hinter den Ohren einen Schutz bei Stürzen brauchen – viele Helme böten dort zu wenig Abdeckung, sagt Brockmann. Darauf gelte es also beim Kauf genau zu achten.

Der Fahrrad-Airbag für den Kopf

Insbesondere für modebewusste bisherige Helm-Muffel bietet sich eine technische Alternative: Ein Airbag an einem Umhänge-Kragen, der bei einem Unfall auslöst und sich um den Kopf des stürzenden Radfahrers aufbläst. Aktuell gibt es nur einen Hersteller dieser Schutz-Methode: Hövding, ein schwedisches Unternehmen, bewirbt sich selbstbewusst als Anbieter des „sichersten Fahrradhelms der Welt“ – der wiederum kein Helm sei.

Das Gerät kostet etwa 350 Euro. Die Airbag-Schutzfunktion ist in verschiedenen Studien besser bewertet worden als die klassischer Fahrradhelme, zuletzt meldete die französische Testinstitution Certimoov 2021 Bestmarken für den Fahrradairbag. Dennoch bleiben bei manchen Wissenschaftlern Zweifel, dass – je nach Unfallkonstellation, also insbesondere bei seitlichen Zusammenstößen mit Autos – die eingebaute Sensorik schnell genug auslöst, um den Schutz zu gewährleisten.

In Praxistests zeigt sich zudem, dass ein Fahrradairbag wegen des relativ klobigen Kragens je nach Kleidungs- und Fahrstil eher unbequem ist. Gerade bei sportlichen Sitzpositionen mit nach vorn geneigtem Oberkörper wird dieses System als störend beschrieben. „Man muss aber auch sagen, dass dieses System sehr teuer ist, weil man es nach jedem Sturz austauschen muss“, sagt Siegfried Brockmann.

Notruf vom elektronischen Begleiter

Smarte Technologie soll auch helfen, wenn es doch zum Unfall gekommen ist. Hövding sendet beim Auslösen über die Telefon-App eine SMS an hinterlegte Kontakte, in der auch der Standort des Unfalls angegeben wird. Ähnlich funktioniert es bei anderen Systemen: Wer beispielsweise seine Radtouren per Smartphone mit dem Tracking-Anbieter Strava mitzeichnet, kann ausgewählten Kontakten den eigenen Aufenthaltsort freigeben – so lassen sich verunglückte Radler lokalisieren.

Relativ teure Radcomputer wie die von Garmin lösen sogar automatisch ein Alarmsignal an hinterlegte Kontakte aus, wenn das Gerät einen möglichen Sturz erkennt und der Nutzer den Alarm nicht abbricht. „Solche technischen Lösungen können hilfreich sein, allerdings hängt es vom Anwendungsfeld ab“, sagt Unfallforscher Brockmann: „In der Stadt erhöht diese Technik die Sicherheit nicht, aber für Alleinfahrende im Wald oder in dünn besiedelten Gebieten kann es ein Schutz für den Notfall sein.“

Genau für diese Zielgruppe bietet auch das deutsche Start-up Tocsen seinen Sensor an: Am Helm befestigt, verfügt Tocsen über eine sehr präzise Analyse des Sturzereignisses und kann dann entweder die Kontakte, andere Nutzer oder die lokalen Rettungskräfte alarmieren.

Fahrtechnik als Grundlage

Bei aller herkömmlichen und smarten Technik: Auf etwas anderes kommt es ebenfalls entscheidend an. „Sehr oft können wir bei Unfallrekonstruktionen erkennen, dass die Fahrer das Geschehen nicht unter Kontrolle hatten“, berichtet der Fahrradsachverständige Dirk Zedler, „viele Radfahrer haben nicht gelernt, wie sie die Bremsen richtig benutzen.“ Deshalb ist bei aller Möglichkeit, die Sicherheit über Investitionen am Rad und am Körper zu erhöhen, die Arbeit an der eigenen Fahrtechnik gefragt.

„Bremsen üben kostet nichts, kann aber entscheidend sein“, sagt Zedler – auch bietet sich, gerade für Radler mit Motor am Rad, ein Fahrsicherheitstraining an. Wer vor dem Kauf eines Fahrrads steht, sollte sich mit den Bremsen besonders beschäftigen. „Hier rate ich zum Testfahren vor dem Kauf, um zu sehen, ob die Einstellung der Bremse zu den eigenen Fähigkeiten passt“, ergänzt Unfallforscher Brockmann, denn das nachträgliche Einstellen ist vor allem bei hydraulischen Scheibenbremsen an E-Bikes nicht möglich.

Wer beim Bremsmanöver so sicher sein möchte wie im Auto, kann nach Pedelecs mit einem sogenannten „Fahrrad-ABS“ suchen. Noch ist dieses Angebot eher in der Nische zu finden, aber es verhindert zuverlässig Blockaden und damit schwere Stürze. „In fünf bis acht Jahren wird das Fahrrad-ABS Standard sein“, meint Dirk Zedler.

Tim Farin

Autor

Tim Farin ließ sich an der Deutschen Journalistenschule München ausbilden. Zu seinen Schwerpunkten zählen Sport, Fitness und Gesundheit. Als leidenschaftlicher Rennradfahrer und Marathonläufer kennt er sich mit dem Herz-Kreislauf-System bestens aus und hat mit Prof. Klaus Bös und Prof. Getrud Winkler das Buch „Fit in 12 Wochen“ veröffentlicht.