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Wie Gefühle das Immunsystem beeinflussen

Psyche, Gehirn- und Immunsystem sind eng miteinander verbunden. Sind wir gestresst, sind traurig oder fühlen uns einsam, dann können uns diese negativen Emotionen sogar krank machen. Wie unsere körpereigene Abwehr auf diese Gefühle reagiert und was uns helfen kann, sie zu minimieren, das verrät Prof. Dr. Dr. Christian Schubert.

Wut, Angst und Trauer können krank machen, ebenso wie Enttäuschungen, Sorgen, Einsamkeit und Hass. Das sind einige Beispiele für negative Gefühle, die nach einschneidenden Erlebnissen im Leben entstehen können, nach einer Scheidung etwa, dem Verlust des Lebenspartners, bei Arbeitslosigkeit oder chronischem Stress, beruflicher oder privater Natur.

„Halten diese ungesunden Emotionen an, wird der Körper anfällig für Erkrankungen“, erklärt Prof. Dr. Dr. Christian Schubert, Arzt, Psychologe, Ärztlicher Psychotherapeut und Leiter des Labors für Psychoneuroimmunologie (PNI) der Universitätsklinik für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Medizinische Psychologie Innsbruck. Die Psychoneuroimmunologie ist ein relativ junges, interdisziplinäres Forschungsgebiet, das sich mit dem Zusammenspiel von Psyche, Nerven- und Immunsystem auseinandersetzt.

Negative Gefühle, die krank machen können, sind zum Beispiel:

  • Angst
  • Wut
  • Neid
  • Enttäuschung
  • Eifersucht
  • Trauer
  • Einsamkeit
  • Aggression
  • Schuld
  • Sorge
  • Hass
  • Liebeskummer

Das Immunsystem löst Entzündungen aus

„Gehirn, Psyche und Immunabwehr sind eng miteinander verknüpft und wollen den menschlichen Organismus vor Gefahren und unterschiedlichen Stressoren schützen“, erklärt der Experte, der Autor einer Reihe von nationalen und internationalen Sach- und Fachpublikationen ist. So reagiert das Immunsystem auf eine akute Stimulation des vegetativen Nervensystems, das wichtige autonome Körperfunktionen wie Atmung, Herzschlag, Verdauung und Stoffwechsel reguliert.

Tritt ein Stressreiz auf, so wird der Sympathikus aktiviert, der als Teil des vegetativen Nervensystems unseren Organismus bei Gefahr auf Flucht oder Kampf vorbereitet. Atem- und Herzfrequenz steigen an, die Muskelspannung erhöht sich, die Verdauungstätigkeit wird heruntergefahren. „Das Immunsystem wiederum ruft, um seiner Verteidigungsfunktion gerecht zu werden, Abwehrzellen zu Hilfe, die im Körper Entzündungen auslösen“, erklärt Prof. Schubert.

Dauerstress kann krank machen

Damit es nicht zu einer überschießenden Entzündungsreaktion kommt, wird in den Nebennieren das als Stresshormon bezeichnete Cortisol ausgeschüttet, welches die Aktivität des zellulären Immunsystems herunterreguliert und damit Entzündungen ausbremst. Ein guter und effektiver Regulationsmechanismus, solange der Stress und/oder die negativen Gefühle zeitlich begrenzt sind. Problematisch wird es, wenn starke oder langanhaltende Stressoren den Cortisolspiegel über lange Zeit erhöhen und so das Immunsystem längerfristig unterdrücken.

„Die psychoneuroimmunologischen Befunde untermauern die jahrtausendealte Erkenntnis, dass Körper und Seele eins sind.”
Prof. Dr. Dr. Christian Schubert

Das heißt, dass es dadurch auch zu einer Immunsuppression, also einer Unterdrückung des Immunsystems kommen kann, die das Risiko für Infekte, Allergien, Asthma oder Autoimmunerkrankungen, Infektionskrankheiten wie Tuberkulose, rheumatische Erkrankungen, Herzkreislauferkrankungen, Diabetes, Magen-Darm-Krankheiten, Hauterkrankungen oder gar die Entstehung von Krebs erhöht. „Die psychoneuroimmunologischen Befunde untermauern die jahrtausendealte Erkenntnis, dass Körper und Seele eins sind“, unterstreicht der Innsbrucker Experte.

Schäden durch stressbedingte Entzündungen

„Eine Entzündung kann ein zweischneidiges Schwert sein“, sagt Prof. Christian Schubert. „Sie schützt nicht nur vor Infektionen und lässt Wunden heilen, sondern kann auch der Grund dafür sein, dass ältere Menschen sterben, nachdem sie ein schweres Ereignis, wie zum Beispiel den Tod des Lebenspartners, erleben mussten. Durch die stressbedingten Entzündungen im Körperinneren können Schäden entstehen, es kann unter anderem zu Darmdurchbruch, Herzinfarkt oder Schlaganfall kommen.“

Besonders schwer wiegt der gesundheitsschädliche Effekt bei psychisch schwer belasteten Personen oder Menschen, die zum Beispiel an Depressionen oder Angststörungen leiden. „Ernsthafte psychische Erkrankungen können mit entsprechend schweren immunologischen Störungen einhergehen“, betont Prof. Schubert, der auch in regelmäßigen Abständen Kongresse zur Psychoneuroimmunologie veranstaltet.

Psychoneuroimmunologische Forschungsarbeiten konnten zeigen, dass Traumatisierungen in der Kindheit, wie etwa strenge, harsche Eltern, Misshandlungen, sexueller Missbrauch, Drogen- und/oder Alkoholprobleme oder Verlusterfahrungen im späteren Leben das Immunsystem und damit die Gesundheit beeinträchtigen können. Bei Personen, die eben dies erleben mussten, kommt es in der Pubertät häufig zu einem starken Abfall des Cortisol-Spiegels. Infolgedessen werden die vermehrt auftretenden Entzündungen nicht mehr herunterreguliert, was zu verschiedenen Erkrankungen führen kann.

Wechselwirkung zwischen biologischen und psychologischen Parametern

Im Fokus seiner Forschungsarbeit stehen die persönlichen Stressoren eines Menschen, denn was uns psychisch belastet, ist individuell sehr verschieden. So untersucht Prof. Schubert mit seinem Team in sogenannten integrativen Einzelfallstudien die Wechselwirkung zwischen biologischen, psychologischen und sozialen Parametern unter Bedingungen des gelebten Lebensalltags („Life as it is lived“).

„Im Harn bildet sich die immunologische Identität ab.”
Prof. Dr. Dr. Christian Schubert

Die Teilnehmer sammeln hierfür in einem Zeitraum von ein bis zwei Monaten ihren gesamten Urin, der alle 12 Stunden (von morgens bis abends sowie von abends bis morgens) in kleine Probenröhrchen gefüllt wird. In diesen Harnproben werden dann verschiedene Stoffe gemessen, wie zum Beispiel das Stresshormon Cortisol oder die Immunparameter Neopterin und Interleukin-6. „Im Harn bildet sich die immunologische Identität ab“, erklärt der Ärztliche Psychotherapeut aus Österreich.

Außerdem bearbeiten die Teilnehmer an integrativen Einzelfallstudien in 12-stündigen Intervallen Fragebögen zu ihren Gefühlen, besonderen Vorkommnissen, ihrem gesundheitlichen Befinden, Essverhalten und anderem. Einmal die Woche findet ein persönliches Gespräch mit einem Interviewer statt, um die während des Studienzeitraums stattfindenden emotional bedeutungsvollen Ereignisse identifizieren zu können.

Teilnehmer zeigen immunologisch vergleichbare Reaktionen

Das Ergebnis bisheriger Studien überrascht: Obwohl die Stressoren, also das, was die Betroffenen als Stress empfunden haben, hochspezifisch waren, zeigten die Teilnehmer immunologisch vergleichbare Reaktionen. Das bedeutet, dass das, was von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich sein kann, nämlich erlebter Stress, bei allen Personen vergleichbare Effekte auf das Abwehrsystem hat.

„Das haben wir nur durch unsere Einzelfall-Untersuchungen herausfinden können“, betont Prof. Schubert. „Das ist ein völlig neues Studiendesign. Ich halte von der Mittelung des Menschen, das heißt, wenn Ergebnisse über mehrere Menschen gemittelt werden, wie dies üblicherweise in den medizinischen Wissenschaften getan wird, wenig.“

Beobachten Sie sich selbst. Mit welchen Gefühlen reagieren Sie in bestimmten Situationen? Was empfinden Sie als Stress? Versuchen Sie, wahrzunehmen, wann in Ihrem Inneren die negativen Gefühle beginnen, und steuern Sie dagegen, indem Sie zum Beispiel ein Stoppschild visualisieren und an etwas Schönes denken.

So bauen Sie schlechte Gefühle ab und stärken Ihr Immunsystem

  • Gehen Sie regelmäßig in der Natur, z. B. im Wald, spazieren
  • Üben Sie Achtsamkeitspraktiken wie Meditation oder achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (MBSR)
  • Praktizieren Sie achtsame Bewegungsformen wie Yoga, Qigong oder Tai-Chi
  • Pflegen Sie gesunde und liebevolle Beziehungen und Freundschaften 
  • Bewegen Sie sich regelmäßig oder treiben Sie einen Sport, der Ihnen Freude bereitet
  • Vermeiden Sie zu viel Alkohol und Nikotin

Mithilfe einer Psychotherapie aus der Falle negativer Emotionen

Doch wie kann man seine Gefühle positiv beeinflussen beziehungsweise die Stressreaktion eindämmen? Ein wesentlicher Faktor dabei sei, dass man das Gefühl habe, eine Stresssituation kontrollieren zu können oder nicht, antwortet der Innsbrucker Experte. Bestünde die innere Gewissheit, einer Herausforderung nicht ohnmächtig ausgeliefert, sondern ihr gewachsen zu sein, würden die Cortisolwerte nur wenig ansteigen und damit das Immunsystem nicht gebremst werden.

Einen Ausweg aus der Falle negativer Emotionen biete die Psychotherapie, insbesondere tiefenpsychologisch fundierte Ansätze. Die tiefenpsychologische Behandlung zeigt zum Beispiel Möglichkeiten auf, Perspektivwechsel vorzunehmen und die Situation mit anderen Augen zu betrachten, sich unbewusste Konfliktsituationen bewusst zu machen, Optimismus, Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein zu stärken sowie zu lernen, mit Stressoren besser umzugehen.

„Eine Psychotherapie ist unerlässlich, wenn die Stressbelastung so hoch ist, dass die Entzündung vom Körper nicht mehr eingedämmt werden kann.“ Die Psychoneuroimmunologie könne als eine Herausforderung für das vorherrschende biomedizinisch-technische Verständnis von Krankheit angesehen werden, insofern, „als nicht mehr kranke Körper ohne Seelen oder leidende Seelen ohne Körper behandelt werden, sondern der Mensch als Ganzes.“

Buchempfehlungen

  • Gesundheitselixier Beziehung: Das faszinierende Wechselspiel von Bindung, sozialer Verbundenheit und Immunsystem, Christian Schubert (Hrsg.), Perspektiven der Psychoneuroimmunologie, 2024
  • Geometrie der Seele: Wie unbewusste Muster das Drehbuch unseres Lebens bestimmen, von Christian Schubert (Autor), Gräfe und Unzer Verlag GmbH, 2023
Icon, das einen Experten/eine Expertin symbolisiert. Symbol für die Envivas Fach-Experten.

Prof. Christian Schubert

Experte

Arzt, Psychologe, Ärztlicher Psychotherapeut und Leiter des Labors für Psychoneuroimmunologie (PNI) der Universitätsklinik für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Medizinische Psychologie Innsbruck.

Ute Wegner

Medizinjournalistin

Ute Wegner hat ihr Handwerk an einer der führenden Journalistenschulen Deutschlands gelernt und schreibt seit vielen Jahren als Medizinredakteurin über Medizin, Wissenschaft und Biologie. Sie legt Wert auf eine eingängige Sprache und hat als Fachlektorin die bekannten Kinderbücher vom kleinen Medicus von Prof. Dietrich Grönemeyer lektoriert.