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Wie Survival-Training das Leben verbessern kann

Die Zivilisation bietet uns alles im Überfluss und das jederzeit. Wer sich bewusst aus dieser Komfortzone herauswagt und eine Weile in der Wildnis verbringt, der lernt dabei wertvolle Fähigkeiten fürs Leben. Und ganz nebenbei steigert man auch die Qualität von Beziehungen und das persönliche Zufriedenheitsgefühl.

Allein in der Wildnis. Kein Bett, kein Wasserhahn, kein Käse, kein Kühlschrank. Und nun? Wie es sich anfühlt, auf die Annehmlichkeiten der Zivilisation zu verzichten und in der Natur komplett auf sich gestellt zu sein, das zeigt seit einigen Jahren das Webvideo-Format „7 vs. Wild“. Der Erfolg der Survival-Serie war gigantisch. Die erste Folge der ersten Staffel sammelte schon in den ersten 48 Stunden mehr als zwei Millionen Streams. Die erste Folge der zweiten Staffel war mit 4,5 Millionen Abrufen in knapp 48 Stunden sogar noch begehrter.

Der Reiz gründet sich auf einer Sehnsucht nach Ursprünglichkeit und der neugierigen Frage: Wie lange würde ich selbst es in der Natur aushalten? Auch Studien belegen den Wunsch der Deutschen nach mehr Wildnis: 90 Prozent gaben bei einer Befragung an, Wildnis sei „als Gegenpol zu einer immer technischeren Welt“ wichtig. Mehr als 70 Prozent stimmten der Aussage zu, Natur sei umso attraktiver, je wilder sie ist.

Woher kommt die Sehnsucht nach der Wildnis?

Natur als Projektionsfläche vom guten und richtigen Leben ist mindestens so alt wie die Kultur der Zivilisation, der sie sozusagen als Fluchtort dient. Hier das Ideal von Einfachheit, Tugendhaftigkeit, dort die Dekadenz. Natur bildet immer auch den Gegenpol zum rationalen Verkopftsein, verspricht Überraschungen und Nervenkitzel. Die Angst vorm krisenbewegten Weltuntergang könnte ein Grund sein, warum Menschen plötzlich aus ihren sicheren Büros und Wohnzimmern hervorkriechen, um sich der Ursprünglichkeit der Wildnis zu stellen. Sicherheitshalber sozusagen. Falls der Strom mal ausfällt, steht man als Outdoorspezialist dann nicht ganz blank da.

Aber auch die zurückliegende Pandemie hat in uns die Sehnsucht nach Abenteuer und Natur geweckt. Das belegt die Studie Naturbewusstsein des Umweltministeriums, die beispielsweise besagt, dass die Natur für fast die Hälfte aller Jugendlichen während der Pandemie an Bedeutung gewonnen habe. Etwa 90 Prozent der befragten Jugendlichen und Erwachsenen macht es demzufolge glücklich, sich in der Natur aufzuhalten.

Auch Dominik Knausenberger bestätigt die Ergebnisse der Erhebung, und der muss es wissen: Als Survivaltrainer und Gründer der Firma „Lebe die Wildnis“ (lebe-die-wildnis.de) spürt er eine deutlich erhöhte Nachfrage. „Plötzlich erwachte da ein Freiheitsgedanke in den Leuten, sie reagierten auf das Gefühl, eingesperrt zu sein. Viele standen danach schon in den Startlöchern, um das Abenteuer ihres Lebens zu erleben.“ Zur Vorbereitung auf eine Tour durch Kanada oder Schweden buchten Outdoorliebhaber dann häufig einen Survival-Kurs.

„Da helfen keine Muskeln und keine noch so gute Ausstattung. Wenn man nicht die mentalen Fähigkeiten hat, sich selbst zu motivieren und allein Lösungen zu finden, dann scheitert man. Das wahre Survival findet im Kopf statt.”
Dominik Knausenberger

Einsamkeit als existenzielle Erfahrung

Dort lernen sie dann, wie sie sich eine Behausung zum Schutz bauen, Nahrung sammeln oder sich vor wilden Tieren schützen, erzählt Knausenberger. Die wahre Herausforderung sei aber nicht, Beeren zu finden oder mit einem geschnitzten Stock selbst Feuer zu entfachen. Das Schwierigste sei oft, die Einsamkeit auszuhalten. „Das wahre Survival findet im Kopf statt“, sagt Knausenberger.

Denn der Outdoorsport sei eine sehr einsame Angelegenheit. Es gehe um Verzicht, das mache nicht jeder mit. Deshalb müsse man oft allein los und lernen, mit sich selbst klarzukommen. Ohne Ablenkung, ohne Smartphone. „Da helfen keine Muskeln und keine noch so gute Ausstattung. Wenn man nicht die mentalen Fähigkeiten hat, sich selbst zu motivieren und allein Lösungen zu finden, dann scheitert man.“

Um in schwierigen Lebenssituationen auch ohne fremde Hilfe zurechtzukommen, empfiehlt Knausenberger, sich Projekte zu suchen, um die man sich kümmern kann. „Wer anfängt, nur still am Lagerfeuer zu sitzen, der fängt zu zweifeln an. Besser ist es, man sucht sich dauernd neue Aufgaben.“ Und die Möglichkeiten seien gerade bei einem Survivaltraining zahlreich: Feuerholz, Nahrung und Wasser suchen, den Unterschlupf sicher gestalten, auf Jagd gehen, Fallen bauen.

Wer scheinbar alles erledigt hat, kann seine Aufgaben auf das Nicht-Überlebenswichtige erweitern: „Bauen Sie sich einen Stuhl, schnitzen Sie sich einen Löffel.“ Knausenberger hält Aktivität und Produktivität auch für schwierige Lebenssituationen im Alltag für eine gute Strategie gegen psychische Krisen. „Solange der Verstand mit einem Projekt besetzt ist, beschäftigt er sich nicht mit Grübeleien, die einen vielleicht runterziehen.“

„Wer durch den Wald streift und sich auf sich selbst und die Natur konzentriert, der reflektiert automatisch. Wo komme ich her? Wo will ich hin? Ein Aufenthalt in der Wildnis offenbart das unverfälschte Ich.”
Dominik Knausenberger
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Lernen in der Wildnis

Ein Aufenthalt in der Wildnis vermittle auf diese Weise auch ganz praktische Fähigkeiten. Zum Beispiel sei es für Survival-Trainierte bei einem künftigen Grillabend kein Problem mehr, wenn der Grillanzünder ausgeht. „In meiner Familie machen sich da schon immer alle lustig, weil ich streichholzdicke Zweige und fingerdicke Äste sammle und dafür weder Spiritus noch Feuerzeug brauche.“

„Survival-Wissen über Knoten, Wetterkunde und das Verhalten des Körpers in Extremsituationen hilft mir, auch Alltagsschwierigkeiten leichter und sicherer zu meistern.”
Dominik Knausenberger

Wer einmal einige Tage draußen im Wald verbracht habe, der lerne auch, auf die Wetterbedingungen zu achten. „Ich weiß mittlerweile, wann ein Gewitter vorbeizieht und wann es über einen hereinbrechen wird.“ Legt sich große Hitze über die Stadt, muss Knausenberger die körperliche Arbeit nicht niederlegen, sondern setzt sich eine nasse Mütze auf den Kopf. „Das schützt auch in einer Wildnis ohne Schatten zuverlässig vor Überhitzung.“

Und natürlich sei man abseits der Zivilisation zum Improvisieren gezwungen. Weil es eben nicht für jedes Problem das richtige Werkzeug gebe. „Heute weiß ich mir auch zu behelfen, wenn sich im Alltag eine Schwierigkeit auftut. Dann wende ich mein Survival-Wissen über Knoten an, Wetterkunde oder das Verhalten des eigenen Körpers in Extremsituationen, um mir die Situation zu erleichtern oder sie sicherer zu machen.“

Ein Survival-Trip lehre aber nicht nur Praktisches. Knausenberger ist überzeugt: Derjenige, der einige Tage allein in der Natur verbracht hat, finde auch zu sich selbst und entdecke dabei Lösungen für Alltagsprobleme, die ihn schon lange beschäftigen. „Wer durch den Wald streift und sich auf sich selbst und die Natur konzentriert, der reflektiert automatisch. Wo komme ich her? Wo will ich hin? Ein Aufenthalt in der Wildnis offenbart das unverfälschte Ich.“

Dabei wirke die Natur wie ein Spiegel der Seele, Maskierungen der Zivilisation fielen spätestens am Lagerfeuer oder beim Fische fangen ab. Das könne auch soziale Strukturen stärken, wenn man in der Gruppe oder zu zweit unterwegs ist. „Man lernt sich so kennen, wie man eben ist. Manchmal kann ein Ausflug in die Wildnis deshalb auch wie eine Paartherapie wirken.“

Wie gut reagiert der andere in Extremsituationen, wenn es zum Beispiel nachts in den Unterschlupf regnet, wenn die Nahrung knapp wird? Welche Fähigkeiten zeigt er, wenn die Routinen des Alltags keine Rolle mehr spielen? „Hat er vielleicht unentdecktes Talent im Kartenlesen, beim Knotenbinden oder einen guten Orientierungssinn?“ Wie gut harmoniert man, wenn Zusammenhalt plötzlich existenziell wird? Streitigkeiten könnten da hochkommen, „zum Beispiel, weil man merkt, dass der andere keine Kritik annehmen kann“.

Aber im besten Fall lerne man eben auch, besonders gut zusammenzuarbeiten. Das hilft auch in der Arbeitswelt weiter. „Wenn Kolleginnen und Kollegen gemeinsam auf Survival-Tour gehen, kann man auch als Firma viel besser zusammenwachsen.“

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Gierig aufbrechen, zufrieden und satt zurückkommen

Erdung und Zufriedenheit mit dem eigenen Leben sei vielleicht eine der besten Begleiterscheinungen eines unbequemen Ausflugs in die Wildnis, meint Knausenberger. Schließlich biete die westliche Zivilisation uns heute zwar alle Annehmlichkeiten im Grunde 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche. Glücklich mache viele dieses ständige und vielfältige Angebot aber nicht zwingend. Es führe eher zu einer Gier, die sich nie befriedigen lasse.

„Ein noch größeres Auto, ein noch neueres Handy – wir wollen immer mehr und werden doch nie satt.“ Gerade der Vergleich mit dem Nachbarn, der mehr verdient, der das tollere Badezimmer und den schöneren Garten habe, hinterlasse häufig das Gefühl der Unzufriedenheit. Wer aus der Wildnis zurückkehrt und dort ohne jeden Luxus klarkommen musste, der sieht seinen eigenen Besitz dann häufig mit anderen Augen.

„Dass sich da Kalkablagerungen im wenig spektakulären eigenen Badezimmer finden, ist plötzlich nicht mehr relevant. Da kommt Wasser aus dem Duschkopf. Und nach einer Woche Survival-Training findet man das plötzlich ziemlich cool.“

Wie die Wildnis die Psyche widerstandsfähiger macht

Ein Aufenthalt in der wilden Natur stärke auch die Fähigkeit, kleinere Alltagsdramen richtig einzuschätzen. Häufig stressten einen Situationen über die Maßen, die eigentlich gar keiner größeren Aufregung bedürften. Die Erinnerung an schon überstandene Gefahrensituationen wirke dann als heilsamer Perspektivwechsel. „Wenn ich zum Beispiel auf der Autobahn feststecke, weil ich eine Panne habe, dann hat mich das früher auch mal in Panik versetzt. Heute denke ich: Ich steckte schon mal eine Woche im Dschungel fest und da streifte in der Nähe ein Jaguar rum. Da werde ich ja nun wohl hinter der Autobahnleitplanke klarkommen. Ich stelle also in Ruhe mein Warndreieck auf und warte guter Dinge auf den Abschleppwagen“, erzählt Knausenberger.

Und was, wenn doch Panik aufkommt? Ob nun in der Wildnis oder im Alltag? Dafür hat der Survival-Trainierte auch einige Rezepte parat. „Helfen kann zum Beispiel die Boxatmung.“ Man atme ein und zähle dabei bis vier, halte die Luft an und zähle dabei bis vier, atme aus und zähle dabei bis vier, halte wieder die Luft an und zähle dabei bis vier. „Wer das ausprobiert, merkt, dass er sich dabei automatisch auf die Atmung konzentrieren muss. Das hilft, runterzukommen und vermeidet, in Panik auszubrechen.“

Auch das „STOP A“-Prinzip kann Knausenberger empfehlen. Erstmal hinsetzen (Sit down), nachdenken, was passiert ist (Think), sich umgucken, was es gibt und was man nutzen kann (Observe), sich einen Ausweg zurechtlegen (Plan) und schließlich den Plan in die Tat umsetzen (Act).

In unserem Artikel „Wildfood – so bringen Sie die Wildnis auf den Teller“ erfahren Sie alles Wichtige über die richtige Ernährung aus der Natur.

Icon, das einen Experten/eine Expertin symbolisiert. Symbol für die Envivas Fach-Experten.

Dominik Knausenberger

Experte

Survivaltrainer und Gründer der Firma „Lebe die Wildnis“.

Claudia Lehnen

Autorin

Claudia Lehnen wollte als Jugendliche Ärztin werden, entschied sich dann aber dafür, lieber über Medizin und Menschen und ihre Krankheits- und Genesungsgeschichten zu berichten. Die in Köln niedergelassene Journalistin, die im Tageszeitungs-Journalismus zu Hause ist, ist unter anderem auf das Themengebiet Gesundheit spezialisiert.